Dienstag, 7. Dezember 2010

Jazzclub Tonne verzichtet auf sein bewährtes Logo und gibt sich ein unglücklich wirkendes Zeichen



Das Logo von Jürgen Haufe, registriert im Deutschen Patent- und Markenamt (Abfrage 8.12.2010).



Im Februar 2002 ließ sich der Jazzclub Neue Tonne Dresden beim Deutschen Patent- und Markenamt die damals am meisten zeichenhafte und reduzierte, von Jürgen Haufe geschaffene Variante der »Trompeten«-Wort-Bildmarke schützen. Damals stand der noch junge Verein am Anfang seines Weges und musste sich mancher Konkurrenten erwehren, die den Begriff »Tonne« und das Logo für sich nutzen wollten.
Dem vorausgegangen waren mehrere verschiedene Logo-Varianten für die »Neue Tonne«-Vorgängereinrichtungen, die allesamt markenrechtlich nicht geschützt und die im Rahmen einer früheren Veröffentlichung vorgestellt worden waren.

Im November 2010 nun beging der Jazzclub Neue Tonne Dresden seinen zehnten Geburtstag. Anlässlich dieses Jubiläums benannte er sich in »Jazzclub Tonne Dresden« um, denn der Zusatz »neue« war längst nicht mehr nötig, und er gab sich eine neue Wort-Bildmarke, kurz: ein neues Logo.

Als Begründung für die Einführung des neuen Logos sollte die namentliche Umbenennung herhalten. Geschäftsführer Steffen Wilde am 9. November 2010: »Das neue Tonne-Logo wurde nötig, weil die Tonne ab 19. November wieder Tonne und nicht mehr Neue Tonne heißen wird.«

Doch hier fehlte es dem Verein wohl etwas an Kenntnis der eigenen Angelegenheiten, denn gewissermaßen im Vorgriff auf die Umbenennung hatte er bereits zu Jahresbeginn sein Logo verändert; die im Patent- und Markenamt geschützte Gestaltung wurde schon Ende 2009, Anfang 2010 um den Schriftzug »Jazzclub« erweitert, so dass »Jazzclub Tonne« entstand. Eine nochmalige Änderung des Logos im November 2010 wäre also zumindest aus Namensgründen nicht nötig gewesen.



Zu Beginn des Jahres 2010 wurde das Logo Jürgen Haufes durch den Schriftzug »Jazzclub« ergänzt – ein inhaltlich überflüssiger, weil Redundanz schaffender Eingriff.


Bereits mit dieser ersten Veränderung hatte der Verein den Wert seiner Wort-Bildmarke markenrechtlich gesehen aufgeweicht. »Eine Wort-Bildmarke ist nur in genau der Form geschützt, wie sie beim Deutschen Patent- und Markenamt eingetragen ist«, sagt Judith Hesse, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Medienrecht der TU Dresden.

Mit der nun neu gestalteten Wort-Bildmarke vom November 2010 (siehe weiter unten) ist die Ferne zur eingetragenen Marke noch deutlich größer geworden. Die andere Schrift, der grafisch anders gestaltete Trompetentrichter (dem ja als Bindeelement zwischen Wort und Bild eine zentrale Bedeutung zukommt) und vor allem das völlige Fehlen der Bogenlinie lassen eine deutliche Abkehr von der eigenen eingetragenen Marke erkennen.

Die Frage, ob die beiden Ereignisse – das Jubiläum und die Umbenennung – überhaupt zwingend zu Veränderungen der Wort-Bildmarke führen müssen, drängt sich auf.

Andernorts hütet man seine Logos, Hausfarben und -schriften wie einen Schatz. Nur bei wirklichen Zäsuren im Sinne von Fusionen oder Übernahmen – etwa im Falle der Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank, was zu einer raffinierten und gelungenen Veränderung beim Außenauftritt führte – werden deutlich sichtbare Corporate Design-Änderungen nötig.
In weiteren Fällen führen Veränderungen in der Produktpalette, Erweiterungen der Konzernstruktur sowie modifizierte Unternehmensziele zu Veränderungen beim Logo, etwa im Falle von Philips zum Ersetzen der klassisch anmutenden Bild- durch die neue Wortmarke.

Doch will die »Tonne« ihr künstlerische Veranstaltungsprofil so deutlich ändern, dass es zu Corporate-Design-Änderungen kommen müsste? – Nein, im Gegenteil.
»Die Tonne wird die Tonne bleiben, indem sie immer wieder neue Wege geht«, ist mit Bezug auf die Einführung des neuen Logos im November-Programmfaltblatt zu lesen. Eine Formulierung, die gerade die Kontinuität des Innovativen bei der Konzertgestaltung – und nicht eine etwaige Zäsur – betont.




Das neue Logo von Tauundtag.








Was also störte die »Tonne«-Verantwortlichen am eingeführten, bisherigen Haufe’schen Logo?

Symbolwirkung und Ästhetik können es nicht sein, denn das nunmehrige Logo vermittelt hinsichtlich beider Aspekte einen unvollständigen und handwerklich unprofessionellen Eindruck.

Der einst handgezeichnete Trompetentrichter, homogener Teil des Instruments und durch den lockeren Pinselstrich auf den frischen Charakter der Musik verweisend, wurde ersetzt durch ein starres, zur Seite gelegtes und gequetschtes »O«, dessen Strichstärke unentschlossen unterschiedlich dick ist. Die symbolträchtige Lockerheit ist hin, und die durch das Haufe’sche Trompetentrichter-»O« bewerkstelligte Verbindung zwischen Bild und Wort sowie zwischen Jazz (Trompete) und „Tonne“ ebenfalls.
Das nunmehrige Fehlen des Bogens lässt das gesamte Logo grafisch auseinanderfallen, dem dadurch auch der symbolische Bezug zum einstigen Tonnen-Gewölbe fehlt.

Wer das Logo in seinen wichtigsten Nutzungsumgebungen sieht (Website, Programmflyer, Briefköpfe), stellt fest, dass der Textteil „Jazzclub“, in kleiner Schrift rot unter das Quetsch-»O« geblockt, »wegfliegt«; auf schwarzem Hintergrund ist er nur schwer zu erkennen.

Inwieweit es moralisch und urheberrechtlich vertretbar ist, grafische Einzelelemente aus einem Komplettwerk eines anderen Künstlers herauszulösen und in eigene grafische Kontexte ohne vorherige ausdrückliche Genehmigung hineinzusetzen, bleibt noch zu diskutieren.

Mathias Bäumel

Freitag, 19. November 2010

Jubiläum: Nach zehn Jahren nicht mehr »neu«

Um nach der Insolvenz des damaligen Jazzclubs Tonne Dresden e. V. im Jahre 2000 den »Tonne«-Jazz für Dresden zu retten, gründeten Dresdner Jazzfreunde am 21. November 2000 im Jazzcafé des Dresdner Waldschlösschengeländes den Verein Jazzclub Neue Tonne Dresden.

Anlässlich der Jubiläumsfeier am 19. November 2010 zum zehnten Geburtstag des Vereins hat sich nun der renommierte Dresdner Jazzclub in Jazzclub Tonne Dresden e. V. umbenannt. Grund: Das »neu« ist nach zehn Jahren längst nicht mehr angemessen, war damals jedoch nötig, da es sich um einen neugegründeten, selbstständigen und vom in Insolvenz befindlichen alten Verein völlig unabhängigen Verein handelte.

Mit der Umbenennung will der Jazzverein auch verdeutlichen, dass er sich in der künstlerischen Tradition des früheren »Tonne«-Klubs und dessen Vorgänger, der IG Jazz, sieht. Mit ihr trägt der Jazzclub aber auch der Tatsache Rechnung, dass Jazzfans im allgemeinen Sprachgebrauch ohnehin seit vielen Jahren stets nur von »der Tonne« sprachen.

M. B.

Dienstag, 21. September 2010

Klingender Akt gegen den „musikalischen Fetischismus“, wie ihn Adorno analysierte


Der Künstlerische Leiter auch des 14. Festivals Frei Improvisierter Musik am 24. und 25. September in der Blauen Fabrik Dresden ist Günter Heinz - (Foto: H. J. Maquet)

Robert Musil stellte einmal die Frage, ob es „dumme Musik“ gäbe, und er antwortete selbst mit dem Vorschlag, dass man die Frage einmal umdrehen möge: „Ist vielleicht Dummheit musikalisch?“ Musil weiter: „Dauernde Wiederholungen, eigensinniges Beharren auf einem Motiv, Breittreten ihrer Einfälle, Bewegung im Kreis, beschränkte Abwandlung des einmal Erfassten, Pathos und Heftigkeit statt geistiger Erleuchtung“ – damit beschreibt Musil nicht nur Dummheit und Dummheit in der Musik, sondern – im ungewollten Vorgriff – die akustische Umweltverschmutzung, die sich täglich per TV, Klingeltönen, Echo-Hits, Disco und – im alpendeutschen Raum – Musikantenstadel über die „zivilisierte“ Welt ergießt.

Das Festival Frei Improvisierte Musik, das am 24. und 25. September in Dresden stattfindet, zeigt der Öffentlichkeit, dass es auch anders gehen kann. In diesem Jahr zum vierzehnten Mal bietet es dem Publikum abenteuerliche und überraschende Hör-Alternativen an. Es ist damit eine von immer weniger werdenden Konzert-Offerten, die auf die Wertschätzung von ästhetischer Offenheit, auf die Freude am Unvorhersehbaren und die „Apotheose“ des Augenblicks orientieren, ein klingender Akt gegen den „musikalischen Fetischismus“ (wie ihn Adorno analysierte), der sich in Wiedererkennbarkeit und Wiederholungen zeigt.

Das Festival ist der zeitgenössischen Improvisationsmusik verpflichtet, die sich seit den 60er Jahren in Europa als eigenständige musikalische Sprache entwickelt hat und durch ihre Spontaneität zu überzeugen weiß. Die Wurzeln dieser Musik liegen hauptsächlich in der komponierten zeitgenössischen Musik und im Free Jazz. Beeinflusst wurde sie besonders durch die in der Nachfolge der 2. Wiener Schule wirkenden Komponisten und durch das Musikdenken von John Cage.

Das Festival am kommenden Wochenende bietet an zwei Abenden anspruchsvolle Konzerte mit jeweils zwei Besetzungen. Auf dem Programm stehen sowohl Musiker aus Dresden und Sachsen als auch internationale Besetzungen.

M. B.

Detailliertes Programm hier.

Festival Frei Improvisierter Musik (FFIM 2010) in der Blauen Fabrik Dresden, Prießnitzstr. 44/48

Programm Teil 1

Freitag, 24. September 2010 (20 Uhr)

Adam and his Goats (D):
Samuel Dobernecker - sax,
Martin Schulze - tb,
Philip Scholz -dr

No Sugar (USA):
Liz Allbee – tp,electr
George Cremaschi - b,electr

Sonnabend, 25. September 2010 (20 Uhr)

Chefa Alonso (E) - sax, perc,
Albert Kaul (D) - clavicord

Hartmut Dorscher - sax,
Günter Heinz - tb,fl,
Matthias Macht - perc,
Jörg Ritter – perc

Tickets für 12 Euro (8 Euro ermäßigt) pro Abend an der Abendkasse.

Wie in den vergangenen Jahrgängen wird das Festival im November einen zweiten Teil bieten, u.a. mit der New Yorker Elektronik-Legende Eric Ross.

Dienstag, 20. Juli 2010

Broschüre zum »Tonne«-Jazz rund um die politische Wende im Oktober 1989 liegt vor

Mit »Streiflichter. Erinnerungen und Überlegungen zum Jazz in Dresden rund um die politische Wende« hat der Jazzclub Neue Tonne eine Broschüre veröffentlicht, die versucht, sowohl die Ereignisse rund um die »Tonne«-Konzerte der damaligen IG Jazz Dresden im Oktober 1989 und die Erinnerungen einiger Musiker dem Vergessen zu entreißen als auch Antworten auf die Frage zu finden, welche Rolle die die DDR-Kulturpolitik oder gar die Staatssicherheit bei der Übernahme der Gewölbekeller unter der Ruine des Kurländer Palais durch die IG Jazz am Ende der siebziger und am Anfang der achtziger Jahre spielte.

Zugleich ist die Broschüre abschließender Teil des Projektes »Wendejazz – Jazz in Dresden rund um die politische Wende 1989«, das aus dem Programm »20 Jahre Friedliche Revolution und deutsche Einheit« der Sächsischen Staatskanzlei gefördert worden war und in dessen Rahmen zwei Konzerte im Oktober 2009 sowie eine Ausstellung im Jazzclub Neue Tonne bis Ende 2009 stattfanden. Auch Vorträge und eine Webseite zählten zum Projekt.

Die unter Verwendung von Handzeichnungen des 1999 verstorbenen Dresdner Künstlers und Jazzfreundes Jürgen Haufe von Kerstin Hübsch (Grundsatz Grafikdesign) anspruchsvoll gestaltete Broschüre verdeutlicht, dass die damalige IG Jazz Dresden in den Jahren vor der politischen Wende als Jazzveranstalter durchaus zu den Nutznießern der Kultur- und Sicherheitspolitik der DDR zählte, keinesfalls »zu den Benachteiligten oder gar Unterdrückten«. Die Veröffentlichung verweist aber ebenso darauf, dass diese Konstellation durchaus auch zum Nutzen der Jazzfans und guter, internationaler Jazzmusik funktionierte: So manches wilde, interessante Konzert mit Musikern aus dem westlichen Ausland durfte stattfinden, weil es jazz-nahen Kulturfunktionären oder gar IMs gelungen war, »nach oben« das Misstrauen zu zerstreuen. Beschrieben wird anhand einiger weniger Beispiele auch, mit welch perfiden Methoden die Stasi Andersdenkende auch im Jazzbereich »zersetzen« wollte.
Der dokumentarische Teil der Veröffentlichung ruft zwei Konzerte in der alten »Tonne« im Oktober 1989 in Erinnerung und verdeutlicht, wie die Jubiläumskonzerte zwanzig Jahre danach im Oktober 2009 jene von 1989 konzeptionell aufgegriffen und weiterentwickelt haben.

Mathias Bäumel

Jazzclub Neue Tonne Dresden e. V. (Hrsg.): Streiflichter. Erinnerungen und Überlegungen zum Jazz in Dresden rund um die politische Wende, Dresden 2010, 56 Seiten, ISBN 978-3-941209-04-6

Bezug über www.jazzclubtonne.de oder, ab September 2010 wieder, zu Konzerten im Jazzclub Neue Tonne oder bei Sweetwater, Friedrich Wieck Str. 4, 01326 Dresden.
Spende an die »Tonne« ab 5 Euro pro Heft willkommen.

Mittwoch, 14. April 2010

Elina Duni singt auf ihrer neuen CD wiederum Lieder vom Balkan als Jazzballaden

(Foto: Andrin Winteler/PR)

CD-Tipp: Das zweite Album der noch jungen, 1981 in Tirana geborenen Sängerin Elina Duni hat es in sich, überzeugt noch mehr als der ohnehin schon fast „kultige“ Erstling. Mit ihren renommierten Begleitern aus der Schweiz, dem Pianisten Colin Vallon, dem Bassisten Bänz Oester und dem Schlagzeuger Norbert Pfammatter, gelingt ihr etwas, was trotz vieler Crossovers sehr selten ist: die Verschmelzung verschiedener Musikkulturen zu einem Klangkunstwerk, das wie aus einem Guss wirkt. Näheres auf SCHÖNE TÖNE.

Dienstag, 16. März 2010

Francesco Cusas Band Skrunch zelebriert in Dresden einen musikalischen Amoklauf

(Francesco Cusa. Foto: Promo/Nanni Angeli)

„Pape Satàn, pape Satàn, aleppe!“ Mit diesen Worten beginnt Plutos den siebenten Gesang im „Inferno“ von Dante Alighieri. Plutos, eine wolfsartige Kreatur, bewacht den vierten Ring der Alighieri’schen Hölle, in dem Geizige und Verschwender heulend Steinlasten wälzen.

„Pape Satàn, pape Satàn, aleppe“ – ebenfalls mit dieser Zeile überschreibt der sizilianische Jazzdrummer und Komponist Francesco Cusa den Begleittext zur CD „Du Démon et d’autres questions“ (1999) seiner Band „66six“. Und der Musiker schreibt weiter über den Kontext dieser Musik: „Vater Satan, Vater Satan. Der Teufel zuerst. Der Teufel, der in unsere dumpfen Existenzen sickert. Schlange stehen, Schlaflosigkeit, drückende Schuhe, Kopfschmerzen, besetzte Toiletten. Aber auch Geschichten über Piraten, verkaufte Seelen, heilige Jungfrauen, grauenhafte Inzeste und dezimierte Familien. In einem Wort: der Alltag. ... All das in Musik übersetzt, durchgeschüttelt, zusammengestellt und als kleinen Hexensabbat serviert. ... Erzählt mir bloß nicht, dass Edgar Allan Poe, Grenouille oder Stanley Kubrick keinen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten. Erzählt mir nicht, Nicole Kidman wäre nicht eine Erscheinungsform des gehörnten Ziegenbocks selbst!“
Die Titel dieser CD sind entweder nach Dämonen aus der christlichen Dämonologie oder nach Personen benannt, in denen sich, folgt man Cusa, Verlockungen und Gefährdungen verkörpern. „Abigor“ heißt die Serenade für Nicole Kidman, „Buzzati’s Capture“ verweist auf die „Inbesitznahme“ des Denkens des einst in Italien bekannten Journalisten, Malers, Zeichners und Bühnenbildners Dino Buzzati durch die katholische Kirche, andere Kompositionen sind Stanley Kubrick, dem Parfüm des Grenouille und Edgar Allan Poe gewidmet. Noch weitere Dämonen werden mit Titeln thematisiert, so Halphas, ein Dämon in Taubengestalt, der Städte anzündet und die Menschen in den Krieg schickt.

„Ach was, lass uns nicht über Dämonen, sondern über die Musik reden“, lacht Francesco Cusa abwehrend und schalkhaft, für den diese Dinge nur ein witziges Spiel sind. Und wenn er sich mit seiner Geisteshaltung als vom provokativ-sarkastischen Humor Frank Zappas beeinflusst erweist, der Nonsens und Sinnhaftigkeit in sich vereint, so spürt man besonders auch im Musikalischen Zappas Flair: Komplexe Rockrhythmen, skurril wirkende Motive und Themen, gebaut aus gewagten Intervallsprüngen und schrägen Tonart-Wechseln, knirschend und rau klingende, dennoch flüssig gespielte Gitarrenlinien und Einspielungen von geheimnisvoll klingenden Telefonstimmen sowie von Technikgeräuschen.

Natürlich sind dies nur Anklänge – Cusas Musik ist eigenwertig, klingt, im Gegensatz zu der Zappas, völlig europäisch. Brillante Bläserimprovisationen spielen nicht nur eine illustrative, sondern eine zentrale Rolle. Vor allem aber die Rhythmik ist bei Cusa, dem Liebling aller Jazztrommel-Freunde, südeuropäisch-faszinierend. Cusas Verschmitztheit, vor allem aber dessen Fähigkeit, das süditalienisch-sizilianische Erz-Musikantentum der großen katholischen Prozessions-„Bandas“ mit modernem Freejazz-Drumming zu verbinden, halten jedermann in Atem. Alles wird bei diesem Irrwisch zu Rhythmus – von Marmeladengläsern bis zu Kellerclubwänden, von Zahnputzbechern bis zu Atemgeräuschen.

Im Laufe der Jahre entwickelte sich in Cusas Musik eine Kontinuität von Titeln, die in verschiedenen Versionen immer wieder auftauchen. So spielte er bereits 1997 mit seiner Band 66six die Kompositionen „Where’s Stanley Kubrick?“, „Buzzati’s Capture“, aber auch „Psycho Jogging“, „Dr. Akagi“ und „Nonsense“. Alle gehörten sie später zu den Konzertprogrammen der unterschiedlich besetzten „Skrunch“-Bands und waren auf den jeweiligen CDs enthalten.

Auch die 2005-er CD „Psicopatologia del serial Killer“ präsentiert diese Titel in ruppigen, wilden Interpretationen – und endet mit dem Klangstück „Beyond Gods and Devils ... the day before...“(Jenseits von Göttern und Teufeln ... der Tag davor ...), das – die Geduld des Hörers mit lang andauernder Stille überstrapazierend – ein Grauen anzukündigen scheint.

Stattdessen jedoch folgen mit den CDs „A sicilian way of cooking mind“ (2006, Cusas Projekt „Naked Musicians“) und „L'arte della guerra“ (2007, Cusa mit Skrunch) zwei unter eigenem Namen veröffentlichte Werke, die vom Provokant-Symbolischen weg deutlich mehr in eine raffinierte, jazzige Richtung gehen, und die – im Falle der „Nackten Musiker“ – improvisierte Klangflächen ebenso anbieten wie fragmentierte und abstrahierte Prozessions-Banda-Bläsersätze, teils verbunden mit wahnwitzigen Latino-Drum-Passagen; der Titel „A Night in a Caravan“ (eine Kombination aus „A Night in Tunesia“ und „Caravan“) hat einen umwerfenden Charme.

Als nun der Jazzclub Neue Tonne im Laufe des Spätsommers 2009 nach einem Musiker suchte, der für das Jazzwelten-Festival „fragilitas“ 2010 eine spezielle Musik zum Thema „Amoklauf“ konzipieren könnte, war schnell klar: Zuerst soll Francesco Cusa gefragt werden.
Dieses Konzert findet nun statt – am 27. März als Abschluss des 2010-er Jazzwelten-Festivals.

Um all seine Ideen auch veröffentlichen zu können, betreibt Francesco Cusa das CD-Label „Improvvisatore Involontario“. Doch darauf sind nicht nur seine eigenen, sondern auch Werke aus dem Kreis befreundeter Musiker (Cusa manchmal als Sideman) erschienen.

Mathias Bäumel

Donnerstag, 11. März 2010

Das Theremin in der Pop- und Jazzgeschichte - ein Exot fungiert als „Klanggewürz“

(Die Theremin-Künstlerin Barbara Buchholz. Foto: PR)

Das Theremin in der Pop- und Jazzmusik? Die ersten, die diese selten verwendete Urform aller elektronischen Musikinstrumente im Pop-Bereich genutzt haben, könnten gegensätzlicher nicht sein: Dada-Naiv-Desertblues-Avantgardist Captain Beefheart und die Pop-and-Surf-Könige Beach Boys.

Im April 1967 nahm Beefheart mit seiner damaligen Magic Band das Material für seine erste offizielle LP „Safe as Milk“ auf – als Gast war für die Einspielung des berühmten Stückes „Electricity“ und von „Autumn’s Child“ der renommierte Theremin-Spieler Samuel Hoffman eingeladen. Diese beiden Aufnahmen gehörten zu den letzten, die Hoffman machte – seit Anfang der vierziger Jahre hatte der ausgebildete Fußorthopäde und professionelle Violinist in seinen Bar- und Unterhaltungsbands das Theremin popularisiert, war auch immer wieder zur Schaffung von Musik und von Background-Sounds für Horror- und Sci-Fi-Filme eingeladen worden, von Hitchcocks „Spellbound“ (1945; deutscher Titel „Ich kämpfe um dich“) bis zu William Beaudines „Billy the Kid versus Dracula“ (1966). Vor allem die jaulenden, sphärischen Kontrastklänge Hoffmans zu den Einleitungsriffs von „Electricity“ machten diesen Titel – natürlich neben dem unverkennbaren, rauen Gesang Beefhearts – zu einem frühen Markenzeichen des Musikers.

Nur wenig früher, im Februar 1966, hatten die Beach Boys die Instrumental-Tracks für den Song „I Just Wasn't Made for These Times“ (der Gesang wurde im April aufgezeichnet) aufgenommen; der Song erschien dann im Mai 1966 auf der LP „Pet Sounds“, dem elften Studio-Album der Hohepriester des Surf-Pop. An dieser Aufnahme war im Studio auch der Swing-Posaunist Paul Tanner beteiligt, der das von ihm aus dem Theremin weiterentwickelte Electro-Theremin (mit Drehknopf für die Lautstärke) spielte. Im Gesamtklang des Songs spielte dieses exotische Instrument allerdings kaum eine Rolle, anders als bei der wenige Monate später erschienen Beach-Boys-Single „Good Vibrations“. Dort war Tanners Electro-Theremin deutlich zu hören und konterkarierte schauerlich-frisch die forsche melodisch-rhythmische Eingangssequenz des Hits.

So lange diese ersten, seltenen Auftritte des Theremins im Pop- und Rockbereich auch her sein mögen – im Jazz lassen sich Spuren dieses Instrumentes so gut wie gar nicht und auch nicht so frühzeitig finden. Das liegt sicher auch daran, dass die Nachteile des Theremins im Jazz besonders schwer wiegen, dass es so schwerfällig und nur glissando-artig spielbar ist. Ohnehin ließen sich ähnliche Sounds mit den ab Ende der sechziger Jahre verfügbaren Synthesizern viel einfacher erzeugen.

Insofern verwundert es nicht, dass das Theremin – als Exot und „Klanggewürz“ – eher noch im zeitgenössischen Jazz und im Grenzgebiet zwischen Jazz und zeitgenössischer Konzertmusik genutzt wird, nicht im Swing und Bop.

Hier hat sich vor allem der italienische Multiinstrumentalist Vincenzo Vasi hervorgetan. Seine Theremin-Beiträge in Gianni Gebbias Switters sind unüberhörbar, geben dem Trio einen kräftigen, unverkennbaren Sound, brillieren mit Solo-Leistungen, erreichen eine geradezu rocktypische Intensität – erklärbar, fühlt sich Vasi doch auch von Captain Beefheart inspiriert. Etwas wirklich Besonderes ist Vasis Band Etherguys, ein Trio, in dem ausschließlich drei Thereministen spielen, neben Vasi noch die in Italien lebende Schweizerin Sabina Meyer und der ebenfalls mittlerweile auf dem „Stiefel“ ansässige japanische Techno- und Elektro-Avantgardist Gak Sato.

Mit Barbara Buchholz kommt nun eine der profundesten Theremin-Spielerinnen überhaupt nach Dresden. Gemeinsam mit Lydia Kavina, der Großnichte des Instrumentenerfinders Lev Sergejewitsch Termen (1896–1993), der sich im Westen später Leon Theremin nannte, gründete Barbara Buchholz 2005 die Plattform „Touch! Don't Touch!“ für das Theremin in der Neuen Musik. Als Meisterschülerin von Lydia Kavina studierte sie in Moskau und ist heute eine der führenden Virtuosinnen an diesem außergewöhnlichen und seltenen Instrument. Im Bereich des Jazz und der Improvisierten Musik tritt sie mit diversen Ensembles auf, unter anderem im Trio mit dem norwegischen Trompeter Arve Henriksen und dem Live-Elektroniker Jan Bang. Sie tourt mit der Jazz Bigband Graz im Rahmen der Produktion „Electric Poetry & Lo-Fi Cookies“, die auch auf CD eingespielt wurde. Bei Auftritten mit ihrem Soloprogramm „Theremin: Russia with Love“ lässt sich Barbara Buchholz vom Projektionskünstler Pedda Borowski unterstützen.

Buchholz spielt am 26. März 2010 mit Pedda Borowski zum Jazzwelten-Festival Dresden 2010.

Mathias Bäumel

Freitag, 5. März 2010

Gianni Gebbia und Eiko Ishibashi begeisterten als Joraku & Lioneiko in der „Tonne“ Dresden

(27. Februar 2010: Gianni Gebbia - Altsax - und Eiko Ishibasi - hier an den Drums, sonst noch Piano, Flöte und Electronics - im Jazzclub Neue Tonne Dresden. Foto: Wolfgang Zimmermann)

Garantiert: Wäre ein Maestro Giacomo Puccini in seiner idyllischen Villa bei Viareggio am Mittelmeer noch aktiv zugange, dann hätte er Eiko Ishibashi und Gianni Gebbia längst in sein Orchester integriert. War doch Puccini u.a. auch dafür bekannt, dass er stets begierig auf neue, ungewöhnliche und bis dato noch nie gehörte Musik war. Und das japanisch-italienische Duo – das sich klangvoll „Joraku & Lioneiko“ nennt - hätte ihm genau solche neue, ungewöhnliche und bis dato noch nie gehörte Musik liefern können. Schade drum; das Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit zu hören, wäre gewiss ein Genuss für Körper, Ohr und Seele gewesen.

Spekulationen dieser Art sind natürlich müßig; der Eindruck aber, den das Konzert der Japanerin Eiko Ishibashi mit dem Sizilianer Gianni Gebbi am 27. Februar 2010 im gut gefüllten Jazzclub Neue Tonne hinterlassen hat, war alles andere als das. Mit der zierlichen japanischen Multiinstrumentalistin Eiko Ishibashi wehten urplötzlich ganz ungewöhnliche Klänge durch das Sandsteingewölbe. Ein fragiles, sehr zartes und zurückhaltendes Klavierspiel drang bis in jeden Winkel des Gewölbes. Und eine Melodie, so fremd und geheimnisvoll, wie sich der ferne Osten den meisten Europäern heute immer noch darstellt, schwebte im gemächlichen Tempo über die Köpfe der Konzertbesucher hinweg. Eiko Ishibashi selbst ist solch ein zerbrechlich scheinendes Wesen; mit einem tief in die Stirn gezogenen und von einer Blüte gezierten Filzhut sitzt sie am Flügel und entlockt ihm diese beinahe unwirklichen Töne. Die büßen auch nichts von ihrer geheimnisvollen Aura ein, als Gianni Gebbias Saxofon sich darunter mischt.

Ganz im Gegenteil; Gebbia nimmt das Angebot von Eiko Ishibashi bereitwillig an und reduziert die gewohnte Lautstärke des Saxofons um ein Vielfaches. Und am Ende ist aus dem gemeinsamen Spiel ein durch und durch romantisches Date geworden; eine Begegnung von Stimme, Piano und Saxofon. Zu schön scheint diese Musik, um sie überhaupt in das Fach Jazz einsortieren zu wollen oder zu müssen. Und doch passiert genau das, was den Jazz eigentlich kennzeichnet. Die beschworene Harmonie findet urplötzlich ihr Ende und die Musik gleicht nun einer entfesselten Orgie. Wild und ungestüm brüllt das Saxofon und lautstark widerspricht das Klavier. Und weil der so sanft wirkenden Eiko Ishibashi dieser Widerspruch wohl immer noch zu gemäßigt erscheint, verlässt sie urplötzlich den Klavierhocker, setzt sich ans Schlagzeug und drischt dort all ihre Emotionen kraftvoll in Richtung des Partners. Doch es ist lediglich ein Streit auf der Ebene der Musik und der kann letztendlich nicht hemmend, sondern nur fördernd wirken.

Zwei CD’s haben die beiden gemeinsam mittlerweile bereits aufgenommen (eine davon, mit Daniele Camarda, ist seit einiger Zeit schon veröffentlicht, die zweite soll ein ein paar Wochen folgen) und quer durch das Material dieser beiden Scheiben arbeitet sich das Programm des Abends. Dazu gehören noch optisch-akustische Spielereien. Etwa dann , wenn Gianni Gebbia einen Gummihandschuh über den Trichter seines Grammophons spannt und die fünf Finger durch die Intensität seines Spiels aufstehen und wieder zusammenfallen lässt. Das ist so etwas wie eine Standardnummer des Sizilianers. Und sie gehörte schon in sein Repertoire, als er vor etwa eineinhalb Jahren in anderer Besetzung in Dresden spielte.

Gebbia hat ehe eine gute und solide Beziehung zur sächsischen Landeshauptstadt; die u.a. auch auf der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Jazztrommler Günter „Baby“ Sommer basiert. Das war, als das Musizieren in sizilianischen Orchestern für ihn längst schon Vergangenheit war und er verstärkt die Zusammenarbeit mit den Jazzern Europas und auch aus Übersee suchte. Als Peter Kowald noch lebte, verband die beiden eine sehr intensive Freundschaft. Auch die Tanztheaterszene interessierte Gianni Gebbia brennend; so arbeitete er u.a. auch zu deren Lebzeiten mit der Choreographin Pina Bausch zusammen.

Die Zusammenarbeit mit Eiko Ishibashi ist eine nächste und wieder etwas andere Station des experimentierfreudigen Sizilianers (der übrigens zwei Tage nach dem Konzert – am 1. März nämlich – seinen 39. Geburtstag feiert), die seiner nicht nachlassenden Neugier entspringt. Und sein eigentliches Konzept bleibt auch dann noch bestehen, wenn beide einer von der Rockband Uriah Heep gespielten und später vom norwegischen Saxofonisten Jan Garbarek bearbeiteten Nummer eine ganz andere und ganz neue Variante hinzufügen. Oder wenn plötzlich eine fröhliche und typisch italienische Volksmusik erklingt. Letztendlich liefern sich Eiko Ishibashi und Gianni Gebbia einen überaus spannenden und kreativen Dialog; sie setzt dabei ihre Querflöte und er sein Saxofon ein. Wie dieser Dialog endet? Natürlich unentschieden!

Wolfgang Zimmermann

Freitag, 5. Februar 2010

Von der Zerbrechlichkeit des Seins oder dem Wandeln auf schmalem Grat

Das 6. Festival JAZZWELTEN findet vom 19. bis zum 27. März 2010 zum Thema „Fragilitas“ in Dresden statt


(Gary Lucas improvisiert zu den JAZZWELTEN 2010 - wie hier im Bild in Malaga 2009 - zu Avantgarde-Filmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Foto: PR)

Das Programm des 6. JAZZWELTEN-Festivals des Jazzclubs Neue Tonne steht. Das Festival, das diesmal unter dem Motto „Fragilitas“ vom 19. bis zum 27. März 2010 im Clubkeller des Jazzclubs Neue Tonne, im Clara-Schumann-Saal des Kulturrathauses und im Filmtheater Schauburg stattfindet, bietet trotz wiederum sehr beschränkter Finanzen innovative Musikprojekte – diesmal nicht selten aus den Grenzgebieten zwischen melodischen, zarten Improvisationen und elektronischer Musik – sowohl mit gestandenen Größen des internationalen zeitgenössischen Jazz als auch mit jungen, experimentierfreudigen Nachwuchsmusikanten.

Premieren (so hat der Sizilianer Francesco Cusa die Musik für den Auftritt mit seiner Band Skrunch extra im Auftrag der „Tonne“ zum Thema „Amoklauf“ komponiert) und Improvisationen zu Filmen – diesmal mit Gary Lucas zu Avantgarde-Filmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – gehören ebenfalls wieder zum Programm. Auch das instrumentengeschichtlich erste elektronische Musikinstrument überhaupt, das Theremin, bekommt mit der audio-visuellen Show von Barbara Buchholz und pedda Borowski einen Hauptauftritt.

Die Macher des Programms, Dr. Helmut Gebauer und Steffen Wilde, wollen Musik vorstellen, die von der Zerbrechlichkeit des Seins oder dem Wandeln auf schmalem Grat „erzählt“. Ein existenzielles Thema unserer, aber bei weitem nicht nur unserer Zeit. Gebauer: „In diesem Thema schwingt auch nicht nur Schwermut mit, sondern ebenso Leichtigkeit, Verspieltheit, Glück, immer aber auf schmalem Grat. Das Gefühl, in einer fragilen Welt zu leben, der äußeren wie der inneren, hat viele Facetten. Es kann uns begegnen als Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, aber auch als Freude, sich in ein ungewisses Neues vortasten zu können. Das Wandeln auf schmalem Grat erzeugt Angst, aber auch Lust, und eine Vielzahl von Nuancen zwischen diesen Polen. Es kann belasten, aber auch befreien.“

Und mit einem ganz speziellen Befreiungsschlag startet auch das Festival – die Jerseyband zeigt am ersten Tag, wie umwerfend und gnadenlos Hard Core klingt, wenn er mit Trompete, drei Saxofonen, Gitarre, Bass und Schlagzeug gespielt wird.

Conny Bauer kombiniert in seinem Solo-Konzert „Der gelbe Klang“ Posaune mit Live-Elektronik, Lorenz Raabs Blue spüren in intelligenten und verblüffenden Instrumentierungen einer silbrigen Wehmut nach und erinnern damit, ob gewollt oder ungewollt, auch an Miles Davis. Der holländische Grotesk-Vokalkünstler Jaap Blonk wird Stargast der JAZZWELTEN-spezial-Vocal-Night, und Lou Reeds Lieblingsband Lucibel Crater aus New York verzaubert die Konzertbesucher mit Sounds an der Schnittstelle von Rock, Jazz, Kammermusik und Electro. Sie sind Meister darin, durch Loops und Live-Overdubs vielschichtige Songs mit verblüffenden Grooves und faszinierenden Klängen voller Ecken, Kanten und Hintertüren entstehen zu lassen.

Und schließlich gibt es auch eine Art „Feature-Ring Spezial“ mit dem Turntable- und Perkussionskünstler-Duo Christopher Rumble.

Das Gesamtprogramm sowie alle Infos – auch zum Ticketbezug – findet man auf der JAZZWELTEN-Seite des Jazzclubs Neue Tonne Dresden oder gleich über www.jazzwelten.de.

M. B.

Freitag, 22. Januar 2010

Pat Methenys „Orchestrion“- CD – was bringt der Griff in die Vergangenheit der Musikinstrumente?


Setzkasten mit Winkelhaken und vier Satzzeilen (Foto: Willi Heidelbach, Wikipedia)

Es gibt Buch-Liebhaber, die sind immer wieder fasziniert von der handwerklichen Anmutung und dem künstlerischen Wert von Büchern, die im Buchdruck mit noch echten Bleilettern und in historisch markanten Schriften gesetzt bzw. gedruckt sind. Dessen ungeachtet hat sich für nahezu die gesamte Buchproduktion seit 1986 längst der Computersatz durchgesetzt, und Bleisatz und Buchdruck wurden zu charmanten Nischenverfahren für Buchkunst-Sammler. So hergestellte Bücher strahlen das Flair von Kunst, Handwerkskunst und Wertigkeit aus – aber sind die so publizierten Texte bessere Literatur als computergesetzte?

An dieses Buchdruck-Thema musste ich denken, als ich die aktuelle CD „Orchestrion“ des Gitarristen und Komponisten Pat Metheny in der Hand hielt. Metheny, sonst digital orientierter Sound-Tüftler und bekannt für seinen Drang, in immer neue kompositorische und stilistische Gefilde vorzustoßen, wandte seinen Blick zurück in die Instrumenten- und Musikautomaten-Geschichte.

Im 19. Jahrhundert hatten ein paar Tüftler im Schwarzwald und in Sachsen monströse mechanische Musikinstrumente entwickelt, die den Bläserklang eines ganzen Orchesters wiedergeben konnten. Die Ungetüme standen in Hotelhallen und anderen großen Sälen, sie wurden erst per Kurbel-Antrieb in Gang gesetzt, später mit Motorkraft, und was sie spielen sollten, gaben ihnen Lochkarten vor. Im frühen 20. Jahrhundert gelang es den Instrumentenerfindern sogar, eine oder mehrere Geigen einzubauen, die mechanisch gestrichen wurden. Die Erfindung der Schallplatte war dann des Orchestrions rascher Tod.

Nun versuchte Metheny, den Toten zu nutzen, um dessen Mörder attraktiver zu machen, ließ von einem kleinen Handwerksbetrieb extra für seine Zwecke ein Orchestrion bauen, konzipierte eine Musik, bei der dieses Orchestrion von seiner Gitarre elektronisch angesteuert wird (ein Meisterstück der Mechatronik) und nahm eine – ja! – Schallplatte (CD) auf!

Mit diesem „Orchestrion“-Projekt reaktiviert Metheny also - um bei der Typografie-Analogie zu bleiben - „Bleisatz“ und historischen „Buchdruck“ in einer für mich fragwürdigen Weise. Bei seinem Orchestrion-Projekt geht der Gitarrist nämlich vor wie ein moderner Computersetzer, der zunächst einmal ein kompliziertes elektromechanisches Instrument bauen lässt, um mit dessen Hilfe dann computergesteuert die Bleilettern von Mini-Robotern mechanisch aus dem Kasten zu balancieren und sie Zeile für Zeile in das Satzschiff hineinzusetzen. Wenn man unvoreingenommen und ehrlich ist: Das wirkt eher umständlich und anachronistisch als kreativ.

Angesichts der „Orchestrion“-CD staunt man, das Hören kann Spaß machen und besonders fasziniert ist man, wenn man – beispielsweise im Internet oder bei Konzerten während der dazugehörigen Tournee – dazu noch sieht, wie rund um den solo spielenden Gitarristen wie von Geisterhand bewegt die vielen Einzelteile des Orchestrions – von Flaschen bis Violinen, von Trommeln bis zum Piano – erklingen.

Ob ein besonderer künstlerischer Wert entsteht, sollte jeder Musikfreund für sich selbst entscheiden.

Mathias Bäumel

Montag, 18. Januar 2010

Zehntausend Schritte – die ersten zehn Jahre der ungarischen Kult-Rockband Omega


Am 23. September 1962 spielte die legendäre ungarische Band das erste Konzert unter ihrem eigenen Namen - wie alles begann: Die ersten zehn Jahre der Band


János Kobor 2007 (Foto: omega.hu)
Fan-Foto von etwa Ende 1971 (Archiv M. B.)

200 bis 400 Euro muss man schon berappen, wenn man ein Original ergattern will, und da ist noch nicht klar, ob man eins ranorganisieren kann – die Rede ist von der aller ersten LP der ungarischen Kultrockband Omega, die 1968 unter dem Titel „Omega Red Star“ bei Decca in London veröffentlicht worden war. Als diese Platte erschien, hatte die Budapester Rockband schon einige Jahre auf dem Buckel, denn gegründet wurde Omega während ihres ersten offiziellen Konzertes am 23. September 1962 im Universitätsklub der Technischen Hochschule (heute längst Universität) Budapest. Die Besetzung damals: László Benkõ (keyboards), János Kóbor (Gesang, Gitarre), András Kovacsics (Gitarre), István Varsányi (Bass), Péter Láng (Saxophon) und Tamás Künsztler (Schlagzeug). Omega, die damals ihren Namen von einem kurzentschlossenen Plakatmacher verpasst bekamen, der nicht so recht wusste, wie er die noch namenlose Gruppe ankündigen sollte, gehört damit gegenwärtig zu den ältesten noch aktiven Rockbands der Welt – die Rollings Stones, deren Gründungsdatum durch das Konzert im Marquee-Klub am 12. Juli 1962 markiert wird, sind nur etwa zwei Monate älter.

Dabei reicht die Omega-Vorgeschichte noch weiter zurück. Bereits 1959 hatten Kóbor, Kovacsics, Laux und Varsányi am Attila-József-Gymnasium sowie Benkö, Láng und Künsztler am Sándor-Petöfi-Gymnasium Schülerbands gegründet, die innerhalb Budapests herumtingelten; das Konzert am 23. September 1962 war dann so etwas wie ein Sich-zusammen-Finden.

In den Jahren danach wechselte die Besetzung und konsolidierte sich. Laux kam und ersetzte Künsztler, die bereits durch TV-Auftritte bekannte Zsuzsa Koncz gehörte kurzzeitig zu Omega, bevor sie zu Illés wechselte, als Sängerin stieg Mari Wittek ein, für Láng kam erst der Saxofonist László Harmath, der 1964 von Tamás Somló ersetzt wurde. Als Mari Wittek 1966 die Band verließ, wurde Kóbor Frontmann und Hauptsänger. Und 1967 schließlich wurde Varsányi zur Armee eingezogen und Tamás Mihály übernahm die Bassgitarre. Schließlich stieg noch im selben Jahr Gábor Presser ein, ein Jahr später gingen Kovacsics und Somló eigene Wege, mit György Molnár kam der neue Gitarrist. Seit 1967 gehörte noch eine junge Dame zum Team, die damalige Studentin Anna Adamis als Texterin, die das erste Jahr gezwungen war, unter dem Pseudonym István S. Nagy zu arbeiten, da Studenten als Texter nicht zugelassen waren.

Nach mehreren personellen Veränderungen hatte sich 1967 die klassische Omega-Besetzung herausgebildet: József Laux (dr), Tamás Mihály (bg), György Molnár (g), Laszló Benkö (tp, keyb), Gábor Presser (org, voc), János Kóbor (solo-voc).
Schon Ende 1964 war der Eötvös-Klub zu Omegas Hausklub geworden – damit war die Band in Ungarn ständig präsent. Ihren ersten Publicity-Höhepunkt erreichte Omega 1966, als hintereinander weg ihre ersten vier Singles erschienen, allesamt Einspielungen bekannter „westlicher“ Rock- und Pop-Hits: „Paint it black / Bus Stopp“, „Bend it / I put a spell on you“, „Little man / What now my love“ und „Sunny / No milk today“.

1967 hatten sie dann gemeinsam mit Zsuzsa Koncz einen Drei-Minuten-Auftritt im Film „Ezek a fiatalok“ („Ach, diese Jugend“) und sie wurden als Begleitband bei den Auftritten von Zsuzsa Koncz und Zsuzsa Pálos zum Tanzliedfestival gebucht.

Doch der entscheidende Impuls für den Durchbruch ging von einem gemeinsamen Konzert der Spencer Davis Group mit Traffic und mit Omega in Budapest aus. Daraufhin nämlich wurde Omega zu einer England-Tournee eingeladen. Die Ungarn gaben unter anderem Konzerte in London und hatten einen Auftritt im BBC-TV. Der Manager der Spencer Davis Group, John Martin, arrangierte eine Albumproduktion beim Londoner Label Decca, das der Gruppe den Namen „Omega Red Star” verpasste. Die Arbeiten an dem Album dauerten drei Tage lang, dann musste János Kóbor zurück nach Budapest, um Examensarbeiten zu schreiben. Das Album wurde in England klangtechnisch nie fertig abgemischt, Decca veröffentlicht es so, wie der Arbeitsstand gerade war, nämlich mit den Lead Vocals von Tamas Mihály unter dem Titel „Omega Red Star from Hungary“. Eine der später meistgesuchten Rockplatten aus dem Ostblock hatte das Licht der Welt erblickt, aber bei objektiver Beurteilung wird man einräumen, dass die späteren Omega-Platten künstlerisch weitaus hochkarätiger werden sollten.

Später in Ungarn wird das „Red Star“-Album fertiggestellt, aber nur einige Songs erschienen auf Singles.
Nach dem Erfolg in London veröffentlichte dann Omega die erste ungarische LP beim Label Qualiton unter dem Titel „Trombitás Frédi és a rettenetes emberek“ (Trompeter Fredi und die verrückten Leute) – für viele Rockfans aus der DDR die allererste „Ost“-Rock-Platte, die man ernstnehmen konnte. Die Platte, die auf das „Red Star“-Material zurückgriff, aber in ungarisch eingesungen wurde, verkaufte sich allein im kleinen Land Ungarn noch im selben Jahr über 100.000 mal und bescherte der Gruppe die erste goldene LP. Von da ab war Omega Kult. Alles weitere konnte den Kult nur noch festigen und erweitern.
Mit den LPs „10.000 Lépes“ (Zehntausend Schritte; 1969), „Ézakai országút“ (Nächtliche Landstraße; 1970) und der legendär in Aluminium verpackten „Elö Omega“ (Omega live; 1972) eroberte die Band einen Platz in Europas Rock-Olymp.
Die Ungarn-Rocker tourten durch Spanien, Finnland, Jugoslawien und Frankreich, gewannen mit „Gyöngyhajú lány“ (eigentlich wörtlich: Perlenhaariges Mädchen) Preise beim Barbarella-Festival in Palma de Mallorca und beim Yamaha-Festival in Tokio.

Im Zusammenhang mit der Preisverleihung veröffentlichte die japanische JVC das Stück als Single. Da allerdings nicht die ganze Gruppe nach Japan flog, wurde die Single mit Hilfe japanischer Studiomusiker eingespielt – als Interpret wies die Plattenhülle „János Kóbor und die halbe Omegaband“ aus.
Nur wenige Rockfans heute wissen, dass damals Omega auch andere Musiker inspirierte.

Die Melodie von „Gyöngyhajú lány“ (von Omegas LP „10000 Lépés“) wurde Anfang der 70-er Jahre in der DDR zu Frank Schöbels „Schreib es mir in den Sand“. Und auch die Scorpions hatten sich für ihren Welthit „White Dove“ bei diesem Omega-Song bedient.

Im April 1971 verließen Gábor Presser und József Laux die Band und gründeten die Supergroup Locomotive GT. Auch die Texterin Anna Adamis, mittlerweile Ehefrau von Laux, schrieb fortan für diese Band. Bei Omega stieg als Texter dafür Kóbors Schulfreund Péter Sülyi ein. Für Drummer Laux kam Ferenc Debreceni. Fast logisch, dass dann auf der 72-er LP „Elö Omega“ ein Song „Hütlen barátok“ (Untreue Freunde) enthalten war.

Das Erscheinen dieser LP war in dieser Weise eigentlich nicht geplant. Denn ursprünglich nahm Omega das Album „200 évvel az utolsó háború után“ (200 Jahre nach dem letzten Krieg) auf. Das aber wurde zensiert, wohl vor allem, weil die düstere Zukunftsvision von rein funktionalen Menschen („Schöne neue Welt“ und „Metropolis“ lassen grüßen!) im Titelsong den ungarischen Kultur-„Oberen“ nicht ins Konzept passte.

Stattdessen nahm die Band in Eigeninitiative eben das Album „Elö Omega“ auf – die LP mit dem berühmten Aluminium-Cover. Der Titel der LP („elö“ heißt auf deutsch „lebendig“, aber auch „live“) ist dabei doppeldeutig: Außer der Tatsache, dass es sich hier um einen Tournee-Mitschnitt handelt, demonstriert Omega mit der LP-Benennung, dass die Band trotz der Trennung von Presser und Laux weiterspielen („-leben“) wird – von da an viele, viele Jahre bis heute. Doch das ist dann eine völlig andere Geschichte...

Mathias Bäumel