Dienstag, 16. März 2010

Francesco Cusas Band Skrunch zelebriert in Dresden einen musikalischen Amoklauf

(Francesco Cusa. Foto: Promo/Nanni Angeli)

„Pape Satàn, pape Satàn, aleppe!“ Mit diesen Worten beginnt Plutos den siebenten Gesang im „Inferno“ von Dante Alighieri. Plutos, eine wolfsartige Kreatur, bewacht den vierten Ring der Alighieri’schen Hölle, in dem Geizige und Verschwender heulend Steinlasten wälzen.

„Pape Satàn, pape Satàn, aleppe“ – ebenfalls mit dieser Zeile überschreibt der sizilianische Jazzdrummer und Komponist Francesco Cusa den Begleittext zur CD „Du Démon et d’autres questions“ (1999) seiner Band „66six“. Und der Musiker schreibt weiter über den Kontext dieser Musik: „Vater Satan, Vater Satan. Der Teufel zuerst. Der Teufel, der in unsere dumpfen Existenzen sickert. Schlange stehen, Schlaflosigkeit, drückende Schuhe, Kopfschmerzen, besetzte Toiletten. Aber auch Geschichten über Piraten, verkaufte Seelen, heilige Jungfrauen, grauenhafte Inzeste und dezimierte Familien. In einem Wort: der Alltag. ... All das in Musik übersetzt, durchgeschüttelt, zusammengestellt und als kleinen Hexensabbat serviert. ... Erzählt mir bloß nicht, dass Edgar Allan Poe, Grenouille oder Stanley Kubrick keinen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten. Erzählt mir nicht, Nicole Kidman wäre nicht eine Erscheinungsform des gehörnten Ziegenbocks selbst!“
Die Titel dieser CD sind entweder nach Dämonen aus der christlichen Dämonologie oder nach Personen benannt, in denen sich, folgt man Cusa, Verlockungen und Gefährdungen verkörpern. „Abigor“ heißt die Serenade für Nicole Kidman, „Buzzati’s Capture“ verweist auf die „Inbesitznahme“ des Denkens des einst in Italien bekannten Journalisten, Malers, Zeichners und Bühnenbildners Dino Buzzati durch die katholische Kirche, andere Kompositionen sind Stanley Kubrick, dem Parfüm des Grenouille und Edgar Allan Poe gewidmet. Noch weitere Dämonen werden mit Titeln thematisiert, so Halphas, ein Dämon in Taubengestalt, der Städte anzündet und die Menschen in den Krieg schickt.

„Ach was, lass uns nicht über Dämonen, sondern über die Musik reden“, lacht Francesco Cusa abwehrend und schalkhaft, für den diese Dinge nur ein witziges Spiel sind. Und wenn er sich mit seiner Geisteshaltung als vom provokativ-sarkastischen Humor Frank Zappas beeinflusst erweist, der Nonsens und Sinnhaftigkeit in sich vereint, so spürt man besonders auch im Musikalischen Zappas Flair: Komplexe Rockrhythmen, skurril wirkende Motive und Themen, gebaut aus gewagten Intervallsprüngen und schrägen Tonart-Wechseln, knirschend und rau klingende, dennoch flüssig gespielte Gitarrenlinien und Einspielungen von geheimnisvoll klingenden Telefonstimmen sowie von Technikgeräuschen.

Natürlich sind dies nur Anklänge – Cusas Musik ist eigenwertig, klingt, im Gegensatz zu der Zappas, völlig europäisch. Brillante Bläserimprovisationen spielen nicht nur eine illustrative, sondern eine zentrale Rolle. Vor allem aber die Rhythmik ist bei Cusa, dem Liebling aller Jazztrommel-Freunde, südeuropäisch-faszinierend. Cusas Verschmitztheit, vor allem aber dessen Fähigkeit, das süditalienisch-sizilianische Erz-Musikantentum der großen katholischen Prozessions-„Bandas“ mit modernem Freejazz-Drumming zu verbinden, halten jedermann in Atem. Alles wird bei diesem Irrwisch zu Rhythmus – von Marmeladengläsern bis zu Kellerclubwänden, von Zahnputzbechern bis zu Atemgeräuschen.

Im Laufe der Jahre entwickelte sich in Cusas Musik eine Kontinuität von Titeln, die in verschiedenen Versionen immer wieder auftauchen. So spielte er bereits 1997 mit seiner Band 66six die Kompositionen „Where’s Stanley Kubrick?“, „Buzzati’s Capture“, aber auch „Psycho Jogging“, „Dr. Akagi“ und „Nonsense“. Alle gehörten sie später zu den Konzertprogrammen der unterschiedlich besetzten „Skrunch“-Bands und waren auf den jeweiligen CDs enthalten.

Auch die 2005-er CD „Psicopatologia del serial Killer“ präsentiert diese Titel in ruppigen, wilden Interpretationen – und endet mit dem Klangstück „Beyond Gods and Devils ... the day before...“(Jenseits von Göttern und Teufeln ... der Tag davor ...), das – die Geduld des Hörers mit lang andauernder Stille überstrapazierend – ein Grauen anzukündigen scheint.

Stattdessen jedoch folgen mit den CDs „A sicilian way of cooking mind“ (2006, Cusas Projekt „Naked Musicians“) und „L'arte della guerra“ (2007, Cusa mit Skrunch) zwei unter eigenem Namen veröffentlichte Werke, die vom Provokant-Symbolischen weg deutlich mehr in eine raffinierte, jazzige Richtung gehen, und die – im Falle der „Nackten Musiker“ – improvisierte Klangflächen ebenso anbieten wie fragmentierte und abstrahierte Prozessions-Banda-Bläsersätze, teils verbunden mit wahnwitzigen Latino-Drum-Passagen; der Titel „A Night in a Caravan“ (eine Kombination aus „A Night in Tunesia“ und „Caravan“) hat einen umwerfenden Charme.

Als nun der Jazzclub Neue Tonne im Laufe des Spätsommers 2009 nach einem Musiker suchte, der für das Jazzwelten-Festival „fragilitas“ 2010 eine spezielle Musik zum Thema „Amoklauf“ konzipieren könnte, war schnell klar: Zuerst soll Francesco Cusa gefragt werden.
Dieses Konzert findet nun statt – am 27. März als Abschluss des 2010-er Jazzwelten-Festivals.

Um all seine Ideen auch veröffentlichen zu können, betreibt Francesco Cusa das CD-Label „Improvvisatore Involontario“. Doch darauf sind nicht nur seine eigenen, sondern auch Werke aus dem Kreis befreundeter Musiker (Cusa manchmal als Sideman) erschienen.

Mathias Bäumel

Donnerstag, 11. März 2010

Das Theremin in der Pop- und Jazzgeschichte - ein Exot fungiert als „Klanggewürz“

(Die Theremin-Künstlerin Barbara Buchholz. Foto: PR)

Das Theremin in der Pop- und Jazzmusik? Die ersten, die diese selten verwendete Urform aller elektronischen Musikinstrumente im Pop-Bereich genutzt haben, könnten gegensätzlicher nicht sein: Dada-Naiv-Desertblues-Avantgardist Captain Beefheart und die Pop-and-Surf-Könige Beach Boys.

Im April 1967 nahm Beefheart mit seiner damaligen Magic Band das Material für seine erste offizielle LP „Safe as Milk“ auf – als Gast war für die Einspielung des berühmten Stückes „Electricity“ und von „Autumn’s Child“ der renommierte Theremin-Spieler Samuel Hoffman eingeladen. Diese beiden Aufnahmen gehörten zu den letzten, die Hoffman machte – seit Anfang der vierziger Jahre hatte der ausgebildete Fußorthopäde und professionelle Violinist in seinen Bar- und Unterhaltungsbands das Theremin popularisiert, war auch immer wieder zur Schaffung von Musik und von Background-Sounds für Horror- und Sci-Fi-Filme eingeladen worden, von Hitchcocks „Spellbound“ (1945; deutscher Titel „Ich kämpfe um dich“) bis zu William Beaudines „Billy the Kid versus Dracula“ (1966). Vor allem die jaulenden, sphärischen Kontrastklänge Hoffmans zu den Einleitungsriffs von „Electricity“ machten diesen Titel – natürlich neben dem unverkennbaren, rauen Gesang Beefhearts – zu einem frühen Markenzeichen des Musikers.

Nur wenig früher, im Februar 1966, hatten die Beach Boys die Instrumental-Tracks für den Song „I Just Wasn't Made for These Times“ (der Gesang wurde im April aufgezeichnet) aufgenommen; der Song erschien dann im Mai 1966 auf der LP „Pet Sounds“, dem elften Studio-Album der Hohepriester des Surf-Pop. An dieser Aufnahme war im Studio auch der Swing-Posaunist Paul Tanner beteiligt, der das von ihm aus dem Theremin weiterentwickelte Electro-Theremin (mit Drehknopf für die Lautstärke) spielte. Im Gesamtklang des Songs spielte dieses exotische Instrument allerdings kaum eine Rolle, anders als bei der wenige Monate später erschienen Beach-Boys-Single „Good Vibrations“. Dort war Tanners Electro-Theremin deutlich zu hören und konterkarierte schauerlich-frisch die forsche melodisch-rhythmische Eingangssequenz des Hits.

So lange diese ersten, seltenen Auftritte des Theremins im Pop- und Rockbereich auch her sein mögen – im Jazz lassen sich Spuren dieses Instrumentes so gut wie gar nicht und auch nicht so frühzeitig finden. Das liegt sicher auch daran, dass die Nachteile des Theremins im Jazz besonders schwer wiegen, dass es so schwerfällig und nur glissando-artig spielbar ist. Ohnehin ließen sich ähnliche Sounds mit den ab Ende der sechziger Jahre verfügbaren Synthesizern viel einfacher erzeugen.

Insofern verwundert es nicht, dass das Theremin – als Exot und „Klanggewürz“ – eher noch im zeitgenössischen Jazz und im Grenzgebiet zwischen Jazz und zeitgenössischer Konzertmusik genutzt wird, nicht im Swing und Bop.

Hier hat sich vor allem der italienische Multiinstrumentalist Vincenzo Vasi hervorgetan. Seine Theremin-Beiträge in Gianni Gebbias Switters sind unüberhörbar, geben dem Trio einen kräftigen, unverkennbaren Sound, brillieren mit Solo-Leistungen, erreichen eine geradezu rocktypische Intensität – erklärbar, fühlt sich Vasi doch auch von Captain Beefheart inspiriert. Etwas wirklich Besonderes ist Vasis Band Etherguys, ein Trio, in dem ausschließlich drei Thereministen spielen, neben Vasi noch die in Italien lebende Schweizerin Sabina Meyer und der ebenfalls mittlerweile auf dem „Stiefel“ ansässige japanische Techno- und Elektro-Avantgardist Gak Sato.

Mit Barbara Buchholz kommt nun eine der profundesten Theremin-Spielerinnen überhaupt nach Dresden. Gemeinsam mit Lydia Kavina, der Großnichte des Instrumentenerfinders Lev Sergejewitsch Termen (1896–1993), der sich im Westen später Leon Theremin nannte, gründete Barbara Buchholz 2005 die Plattform „Touch! Don't Touch!“ für das Theremin in der Neuen Musik. Als Meisterschülerin von Lydia Kavina studierte sie in Moskau und ist heute eine der führenden Virtuosinnen an diesem außergewöhnlichen und seltenen Instrument. Im Bereich des Jazz und der Improvisierten Musik tritt sie mit diversen Ensembles auf, unter anderem im Trio mit dem norwegischen Trompeter Arve Henriksen und dem Live-Elektroniker Jan Bang. Sie tourt mit der Jazz Bigband Graz im Rahmen der Produktion „Electric Poetry & Lo-Fi Cookies“, die auch auf CD eingespielt wurde. Bei Auftritten mit ihrem Soloprogramm „Theremin: Russia with Love“ lässt sich Barbara Buchholz vom Projektionskünstler Pedda Borowski unterstützen.

Buchholz spielt am 26. März 2010 mit Pedda Borowski zum Jazzwelten-Festival Dresden 2010.

Mathias Bäumel

Freitag, 5. März 2010

Gianni Gebbia und Eiko Ishibashi begeisterten als Joraku & Lioneiko in der „Tonne“ Dresden

(27. Februar 2010: Gianni Gebbia - Altsax - und Eiko Ishibasi - hier an den Drums, sonst noch Piano, Flöte und Electronics - im Jazzclub Neue Tonne Dresden. Foto: Wolfgang Zimmermann)

Garantiert: Wäre ein Maestro Giacomo Puccini in seiner idyllischen Villa bei Viareggio am Mittelmeer noch aktiv zugange, dann hätte er Eiko Ishibashi und Gianni Gebbia längst in sein Orchester integriert. War doch Puccini u.a. auch dafür bekannt, dass er stets begierig auf neue, ungewöhnliche und bis dato noch nie gehörte Musik war. Und das japanisch-italienische Duo – das sich klangvoll „Joraku & Lioneiko“ nennt - hätte ihm genau solche neue, ungewöhnliche und bis dato noch nie gehörte Musik liefern können. Schade drum; das Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit zu hören, wäre gewiss ein Genuss für Körper, Ohr und Seele gewesen.

Spekulationen dieser Art sind natürlich müßig; der Eindruck aber, den das Konzert der Japanerin Eiko Ishibashi mit dem Sizilianer Gianni Gebbi am 27. Februar 2010 im gut gefüllten Jazzclub Neue Tonne hinterlassen hat, war alles andere als das. Mit der zierlichen japanischen Multiinstrumentalistin Eiko Ishibashi wehten urplötzlich ganz ungewöhnliche Klänge durch das Sandsteingewölbe. Ein fragiles, sehr zartes und zurückhaltendes Klavierspiel drang bis in jeden Winkel des Gewölbes. Und eine Melodie, so fremd und geheimnisvoll, wie sich der ferne Osten den meisten Europäern heute immer noch darstellt, schwebte im gemächlichen Tempo über die Köpfe der Konzertbesucher hinweg. Eiko Ishibashi selbst ist solch ein zerbrechlich scheinendes Wesen; mit einem tief in die Stirn gezogenen und von einer Blüte gezierten Filzhut sitzt sie am Flügel und entlockt ihm diese beinahe unwirklichen Töne. Die büßen auch nichts von ihrer geheimnisvollen Aura ein, als Gianni Gebbias Saxofon sich darunter mischt.

Ganz im Gegenteil; Gebbia nimmt das Angebot von Eiko Ishibashi bereitwillig an und reduziert die gewohnte Lautstärke des Saxofons um ein Vielfaches. Und am Ende ist aus dem gemeinsamen Spiel ein durch und durch romantisches Date geworden; eine Begegnung von Stimme, Piano und Saxofon. Zu schön scheint diese Musik, um sie überhaupt in das Fach Jazz einsortieren zu wollen oder zu müssen. Und doch passiert genau das, was den Jazz eigentlich kennzeichnet. Die beschworene Harmonie findet urplötzlich ihr Ende und die Musik gleicht nun einer entfesselten Orgie. Wild und ungestüm brüllt das Saxofon und lautstark widerspricht das Klavier. Und weil der so sanft wirkenden Eiko Ishibashi dieser Widerspruch wohl immer noch zu gemäßigt erscheint, verlässt sie urplötzlich den Klavierhocker, setzt sich ans Schlagzeug und drischt dort all ihre Emotionen kraftvoll in Richtung des Partners. Doch es ist lediglich ein Streit auf der Ebene der Musik und der kann letztendlich nicht hemmend, sondern nur fördernd wirken.

Zwei CD’s haben die beiden gemeinsam mittlerweile bereits aufgenommen (eine davon, mit Daniele Camarda, ist seit einiger Zeit schon veröffentlicht, die zweite soll ein ein paar Wochen folgen) und quer durch das Material dieser beiden Scheiben arbeitet sich das Programm des Abends. Dazu gehören noch optisch-akustische Spielereien. Etwa dann , wenn Gianni Gebbia einen Gummihandschuh über den Trichter seines Grammophons spannt und die fünf Finger durch die Intensität seines Spiels aufstehen und wieder zusammenfallen lässt. Das ist so etwas wie eine Standardnummer des Sizilianers. Und sie gehörte schon in sein Repertoire, als er vor etwa eineinhalb Jahren in anderer Besetzung in Dresden spielte.

Gebbia hat ehe eine gute und solide Beziehung zur sächsischen Landeshauptstadt; die u.a. auch auf der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Jazztrommler Günter „Baby“ Sommer basiert. Das war, als das Musizieren in sizilianischen Orchestern für ihn längst schon Vergangenheit war und er verstärkt die Zusammenarbeit mit den Jazzern Europas und auch aus Übersee suchte. Als Peter Kowald noch lebte, verband die beiden eine sehr intensive Freundschaft. Auch die Tanztheaterszene interessierte Gianni Gebbia brennend; so arbeitete er u.a. auch zu deren Lebzeiten mit der Choreographin Pina Bausch zusammen.

Die Zusammenarbeit mit Eiko Ishibashi ist eine nächste und wieder etwas andere Station des experimentierfreudigen Sizilianers (der übrigens zwei Tage nach dem Konzert – am 1. März nämlich – seinen 39. Geburtstag feiert), die seiner nicht nachlassenden Neugier entspringt. Und sein eigentliches Konzept bleibt auch dann noch bestehen, wenn beide einer von der Rockband Uriah Heep gespielten und später vom norwegischen Saxofonisten Jan Garbarek bearbeiteten Nummer eine ganz andere und ganz neue Variante hinzufügen. Oder wenn plötzlich eine fröhliche und typisch italienische Volksmusik erklingt. Letztendlich liefern sich Eiko Ishibashi und Gianni Gebbia einen überaus spannenden und kreativen Dialog; sie setzt dabei ihre Querflöte und er sein Saxofon ein. Wie dieser Dialog endet? Natürlich unentschieden!

Wolfgang Zimmermann