Samstag, 8. November 2014

Posaune mit »fast digitalem« Klang

Mit einem abgebrochenen Konzert zum Mauerfall am 9. November 1989 begann die künstlerische Laufbahn von Günter Heinz als Ensemblechef


9. November 1989. Ein kleines Jazzfestival in Berlin, im Filmtheater »Babylon«, nur wenige hundert Meter von der Berliner Mauer entfernt. Günter Heinz hat sein erstes Jazzkonzert mit einer eigenen, von ihm selbst geleiteten Band (»Günter Heinz Quartett«) .
»In jener Nacht trafen sich Vorgesehenes und Unvorhersehbares, persönlicher Erfolg und Geschehen von Weltgeschichte«, erinnert sich Günter Heinz. »Während die Musiker vertrackte melodische und harmonische Wendungen erfanden, die Zuhörer staunten, doch nebenher, manche auch hauptsächlich, den neuesten Meldungen aus mitgebrachten Kofferradios lauschten«, so Heinz, »geschah, was viele gehofft und nur wenige geahnt hatten: die Mauer fiel!« Heinz weiter: »Nach dem Konzert – eigentlich stand noch der amerikanische Pianist Walter Norris auf dem Programm – leerte sich der Saal des Filmtheaters Babylon in wenigen Augenblicken, auf der Bühne spielte noch ein einsames, verlassenes Radio.« Auf diese Weise erfahren Heinz und seine Mitmusiker, was geschehen war. »Doch die Instrumente konnten wir nicht allein lassen. Erst spät nachts, noch nicht begreifend, kam ich nach Hause. Aber es war beeindruckend: Die gesamte Stadt war hell und voller Leben.« Dieses besondere, einen historischen Wendepunkt akustisch markierende Konzert hat Rigobert Dittmann 2002 in einer dem Bad Alchemy-Magazin 40/2002 beiliegenden Single in Ausschnitten dokumentiert; die Aufnahmen verdeutlichen eindrucksvoll die Spannung jenes Moments.

Erst etwa einen Monat zuvor – am 8. Oktober 1989 – hatte Heinz, der in Berlin aktiv an den Vorbereitungen der Großdemonstration für eine Demokratisierung der DDR (4. November 19989 auf dem Alexanderplatz) beteiligt war, seinen ersten Auftritt in Dresden gehabt; er trat in der »Tonne« im Ensemble von Hannes Zerbe beim Konzert »Spielauffassungen im Vergleich« auf und war dadurch ganz unmittelbar von den Demonstrationen in Dresden betroffen, denn viele Musikfreunde kämpften sich zu Fuß von Hauptbahnhof und Prager Straße kommend in den Kellerklub, andere schafften es nicht, bis dahin durchzudringen.

Seither ist Günter Heinz, dessen Karriere als freiberuflicher Musiker bereits 1987 begann, nachdem er zuvor als promovierter Mathematiker an verschiedenen Universitäten tätig war und improvisierte Musik »nebenher« spielte, als Improvisationskünstler, Komponist und Ensemble-Leiter in ganz Europa und sogar den USA unterwegs; seinen Lebensmittelpunkt verlegte er Schritt für Schritt nach Dresden und in ein kleines Dorf bei Freiberg.
Obwohl er in all den Jahren immer wieder zu seinen Instrumenten Posaune, Flöte und Zurna, einem arabischen Holzblasinstrument mit Doppelrohrblatt, und damit zu »lungengemachter« Musik zurückkehrte, spielte der Einsatz von moderner Elektronik für Heinz zunehmend eine größere Rolle. Damit gehört Günter Heinz zu den nicht allzu vielen Improvisationsmusikern, deren Kunst von einer Balance zwischen akustisch erzeugter und digitaler Musik geprägt ist.

1992 bekam Günter Heinz ein Stipendium für einen einjährigen Aufenthalt im Elektronischen Studio Basel. Der dortige Studioleiter Thomas Kessler hatte Heinz 1991 bei einem Konzert in Luzern gehört und fand dessen Posaunenklang »fast schon elektronisch«. Von Basel aus entstanden viele Kontakte und Auftritte, in Moskau, Florida, Malta und Sardinien, ja sogar – einen Kreis schließend – bei einem Schweizer Konzert in der Akademie der Künste in Berlin.
Es folgten Projekte mit Gunnar Kristinsson (Icelandic Sound Company) und Arthur Clay, die Günter Heinz ebenfalls in Basel kennengelernt hatte, z.B. in den Alpen beim Schweizer Tonkünstlerfest, in Victoria BC und aktuell ein Projekt beim Festival Virtuelle Switzerland. Auch gemeinsame Auftritte und CD-Aufnahmen mit dem European Powerbook Ensemble, ein Duo, das das italienische System M.A.R.S. (Musical Acoustic Research System) nutzt, um Klangtransformationen in Echtzeit zu realisieren, ließen die »Kenner« mit der Zunge schnalzen.

Es gab viele CDs, Konzerte und Performances mit weiteren Musikern, Tänzerinnen und Videokünstlern sowohl in Klubs, Galerien als auch in Kirchen, große Projekte wie das 2007 im Festspielhaus Hellerau aufgeführte multimediale Wittgenstein-Projekt sowie »Digging the Mine« 150 Meter unter der Erde im Freiberger Silberbergwerk, aber auch die Kooperation mit den Pionieren der audiovisuellen Elektronikkunst, Eric und Mary Ross aus den USA. Es folgten aber auch Lehraufträge in Malta, wo er der deutsche Vertreter beim 1. Computermusik-Festival war, und in Sardinien.
Dass er hier in Dresden seit vielen Jahren als künstlerischer Leiter des Festivals Frei Improvisierte Musik tätig ist, sollte nicht vergessen werden.

Nun, etwa ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall, spielte Günter Heinz gemeinsam mit dem Erlanger Pianisten und Organisten Klaus Treuheit zwei Konzerte »Against the Walls« in Freiberg und in Dresden, ein drittes unter diesem Motto am 7. November 2014 (19.30 Uhr) mit Veryan Weston (Piano) und Roger Turner (Schlagzeug) in der Citykirche Wuppertal. »Hier spiele ich erstmals außerhalb meines Wohnortes auch ganz offiziell an einer Kirchenorgel«, freut sich der Künstler.

Exakt zum Jubiläum des Mauerfalls , am 9. November (19 Uhr), gibt es in der Region das nächste Günter-Heinz-Konzert – in der Dorfkirche Kleinwaltersdorf bei Freiberg., diesmal im Duo mit dem Cellisten Adam Webster (Liverpool/ Breslau). Eintritt: 8 (ermäßigt 5) Euro.

Mathias Bäumel
(Foto oben: Hans-Joachim Maquet)