Von Wiesław Dymny bis Jürgen Haufe – kleine Geschichte des „Tonne“-Logos
(Das Tonne-Logo, wie es heute bekannt ist, hier bei einem Konzert der Band Mauger im März 2009. Foto: Matthias Creutziger)
Krakau Mitte der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre – dort lebte der Maler, Plastiker, Grafiker, Dehbuch- und Textautor Wiesław Dymny. Der initiierte noch als Kunststudent 1956 in einem historischen Gemäuer des Stadtzentrums das Kabarett „Piwnicy pod Baranami“ (etwa „Keller unter den Lämmern“). Als eine der zentralen Künstlerfiguren Krakaus war er auch dabei, als ebenfalls 1956 auf der St. Markusstraße 15 der schnell berühmt werdende Jazzklub „Helikon“ gegründet wurde – der erste reguläre in Polen überhaupt.
Dieser Wiesław Dymny schmückte die Wände des „Helikon“ mit fantasievollen, surrealistisch wirkenden Fresken, mit witzigen Pinselzeichnungen. Das Wandbild über dem Türgewölbe zeigte ein imaginiertes Kombinationsinstrument in der Art eines Wolpertingers, das Piano, einen Pianisten und eine dominante, übergroße Helikon-Tuba in sich vereint. (Das Helikon, auch Helikon-Tuba, ist eine Tuba-Bauform, die in Europa sehr häufig das amerikanische Sousaphon ersetzte und somit bei vielen Oldtimejazz-Kapellen des Alten Kontinents zum Einsatz kam.)
(Von Wiesław Dymny selbst aufgenommenes Foto im „Helikon“-Jazzklub, im Hintergrund das surrealistisch wirkende Fresko, vorn Gründer des Klubs. Quelle: diapzon.pl)
Gäste im Klub, der sich schnell von einem Oldtime-Klub zu einem Brennpunkt moderner polnischer Jazzentwicklung mauserte und der bis 1969 existierte, waren unter anderem Krzysztof Komeda, Tomas Stanko, Adam Makowicz, Janusz Stefanski und viele weitere Vertreter des damaligen zeitgenössischen Jazz Polens, auch der Bassist und spätere Jazzpromoter Jan Byrczek.
Erinnerungen, Eindrücke und Verhältnisse an, von und in diesem Jazzklub der ersten Stunde hat erst kürzlich der Publizist Grzegorz Tusiewicz unter dem Titel „Krakowski Jazz-Klub Helikon 1956 - 1969 - Wspomnienia, impresje, relacje“ veröffentlicht. Die Buchtitelgestaltung zeigte ein – allerdings in Richtung Trompete stilisiertes – Helikon ebenfalls von Dymny. Die Metamorphose des Helikons zur Trompete entsprach der Entwicklung im „Helikon“-Klub hin zur Dominanz des zeitgenössischen Jazz, war, wie Beobachter vermuten, vielleicht sogar von der Charismatik des faszinierenden Trompetenspiels des jungen Tomas Stanko im Klub „Helikon“ beeinflusst.
1963 gründete Byrczek, zunehmend Organisator als Bassist, auf der Basis eines bereits vorhandenen Jazzklub-Zusammenschlusses die Polnische Jazzgesellschaft (Polskie Stowarzyszenie Jazzowe - PSJ), die sich schnell zur größten europäischen Jazzorganisation entwickelte.
Das dadurch in rasantem Tempo bekannt werdende PSJ-Logo mit der Trompete schuf, wie Grzegorz Tusiewicz versichert, wiederum Wiesław Dymny.
Im selben Jahr hatte Byrczek das polnische Zweimonatsmagazin „Jazz Forum“ ins Leben gerufen. Für DDR-Jazzfans war diese Zeitschrift – anfangs englisch-, dann für eine gewisse Zeit sogar auch deutschsprachig – die einzige gut erreichbare Jazz-Fachpublikation und entsprechend weit verbreitet. Durch ihre Nähe zur Polnischen Jazzgesellschaft enthielt fast jede Ausgabe mehrfach das PSJ-Trompeten-Logo. Zusätzlich war es im „Jazz Forum“ üblich, mit Vignetten, Rubrik-Grafiken und lustigen Cartoons zu arbeiten. Fast alle nutzten sie grafische Formen von Trompeten, die abgewandelt und stilisiert wurden. Sogar groteske Titelgrafiken mit witzigen Trompetenumwandlungen gab es. Insofern prägte sich auch unter den DDR-Jazzfreunden die Trompete als grafisches Symbol für modernen Jazz ein.
Das Bewusstsein von der Trompete hinterließ auch in Dresden Spuren – nämlich bei der Entstehung des allerersten Logos der IG Jazz. „Als wir uns sicher waren, dass wir in die Kellergewölbe der Ruine des Kurländer Palais hinein durften“, erinnert sich Frank W. Brauner, der Gründer der IG Jazz Dresden, „zeichnete ich den Namenszug in Kombination mit der Tonnen-Form des Gewölbes auf.“ Brauner weiter: „Die Idee mit der Trompete kam mir wegen der Trompete im Logo der Polnischen Jazzgesellschaft.“ Ins Reine gezeichnet habe das Ganze dann Klaus Burkhard. Das war 1979. „Die ersten, jetzt noch vorhandenen Aufkleber mit unserem damaligen Logo spendeten die Mountain Village Jazzmen aus Hamburg“, erinnert sich Brauner weiter.
(Postkarte des Jazzkellers mit dem Logo der damaligen IG Jazz im Vordergrund links. Im Hintergrund das damals noch aktuelle Logo des Kulturbundes der DDR, zu dem die IG Jazz gehörte. Foto: Archiv Tonne)
Später dann, etwa in der Mitte der achtziger Jahre, erhielt der Dresdner Künstler und Jazzfreund Jürgen Haufe, ohnehin Stammgast bei Konzerten der IG Jazz, den Auftrag, ein neues, frisches, konzentrierter wirkendes Logo unter Verwendung der Idee der gewölbten Tonne zu entwickeln.
(Das erste, meist rot-blau ausgeführte Haufe-Logo für die „Tonne“ wurde ganz überwiegend auf den damaligen DIN-A5-Programmzetteln genutzt.)
Formaler Anlass war wohl ein kleines Jubiläum 1986, der bevorstehende fünfte Jahrestag des Einzuges der IG Jazz in die tonnenförmigen Gewölbekeller unter der Ruine des Kurländer Palais. Aber vor allem auch die Tatsache, dass sich umgangssprachlich der Begriff „Tonne“ eingebürgert hatte, sollte in einem neuen Logo seinen Niederschlag finden.
Haufe nutzte – natürlich! – die Trompete, verband sie zeichnerisch frech und schwungvoll mit dem „O“ des Wortes „Tonne“ und abstrahierte das Gewölbe durch einen einfachen Bogen. Ein kleines, handgepinseltes „Jazz“ wies bis zum Februar 1991 darauf hin, dass die „Tonne“ kein Rock- oder Countryklub war.
Mit dem Jubiläumsprogramm im März 1991 (zehn Jahre IG Jazz im Kellergewölbe des Kurländer Palais“) änderte man den genre-bezogenen, aber wenig aussagekräftigen Begriff „Jazz“ im Logo in den präzisierenden Begriff „Jazzclub“. Damit trugen die „Tonne“-Mitglieder der Tatsache Rechnung, dass sie sich nun nach der Wende als eingetragener Verein unter dem Namen „Jazzclub Tonne“ konstituiert hatten.
(Das zweite Haufe-Logo für die „Tonne“ wurde meist schwarz-weiß auf hellem, einfarbigen Grund gedruckt und überwiegend für die einfach gestalteten Monatsfaltblätter - hier ein Ausschnitt mir der damaligen „Tonne“-Adresse - genutzt.)
Als die „Tonne“ im Frühjahr 1997 ins Dresdner Waldschlösschengelände umzog, wurde der Begriff „Jazzclub“ zugunsten einer besseren grafischen Klarheit völlig weggelassen, das Logo kam nun ohne verbale Erklärungen aus, wirkte so zeichenhafter und schlagkräftiger.
Zwar meinten manche damaligen Umzugsgegner, der Verein sei nach dem Umzug nicht mehr „ihr“ Jazzclub, deswegen fehle nun dieser Begriff zu Recht auch im Logo, aber die eigentliche Ursache für diese Reduktion war eine andere.
Abgesehen von einer grafischen Begründung (ein gutes Logo ist zeichenhaft und reduziert) lieferte Jürgen Haufe schmunzelnd die inhaltliche Erklärung: „Wenn in der Szene des zeitgenössischen Jazz in Europa Tonne gesagt wird, weiß jeder, dass damit dieser ganz spezielle Dresdner Klub gemeint ist. Und wenn jemand in Europas Szene von zeitgenössischem Jazz spricht und dabei nach Dresden fragt, wird zur Antwort immer Tonne kommen. – Wozu also noch verbale Ornamente?“
Dies war – nach der Insolvenz des alten „Tonne“-Vereins im Dezember 2000 – den Gründern des Jazzclubs Neue Tonne Dresden ebenfalls bewusst. Sie ließen das Logo in Zusammenhang mit dem Begriff „Tonne“ beim Deutschen Patent- und Markenamt am 23. Januar 2002 als eigene Wort-Bildmarke eintragen.
Seither steht die freche, von einem Bogen umfasste Trompete, die den Schriftzug „Tonne“ zusammenhält, für „die“ Tonne, für den Dresdner Jazzclub innovativer, zeitgenössischer Jazz- und Improvisationsmusikkonzerte.
Die Einführung eines neuen Logos im November 2010 wird hier diskutiert.
Mathias Bäumel