Freitag, 29. August 2008

Phantasievolle Improvisationskunst

Das 12. Festival Frei Improvisierte Musik 2008 findet an zwei September-Wochenenden in der Blauen Fabrik Dresden wieder mit internationaler Beteiligung statt

Hartmut Dorschner tritt zur Matinee gemeinsam mit Baby Sommer am 28. September (11 Uhr) auf. (Foto: PR/Slaveboat)

Das Festival Frei Improvisierte Musik 2008: Geboten wird phantasievolle Improvisationskunst, deren ästhetisch-konzeptionelle Wurzeln hauptsächlich in der komponierten zeitgenössischen Musik des 20. Jahrhunderts und im Free Jazz liegen. Diese eher europäisch anmutende Improvisationsmusik verfügt längst über eine eigene Tradition. Sie erweitert die jazztypischen Gestaltungsprinzipien und verwendet Strukturen, die denen in der zeitgenössischen komponierten Musik verwandt sind. Charakterisiert wird dies durch die von Misha Mengelbergs geprägte Wortfügung des „instant composing“.

Die zwölfte Ausgabe des Festivals Frei Improvisierte Musik, die am 19. und 20. sowie am 27. und 28. September 2008 in der Blauen Fabrik Dresden stattfindet, bietet ein internationales, abwechslungsreiches Programm. Auftreten werden Vertreter der kreativen Dresdner Szene sowie große Namen der internationalen freien Improvisationsmusik.

12. Festival Frei Improvisierte Musik 2008 – Programm

Freitag 19. September 2008 (20 Uhr)

Martin Schulze (DD) – tb
Andrea Hofmann (DD) – v
Max Loeb (DD) – g

Dirk Marwedel (Wiesbaden) – sax
Philip Zoubek (Wien) – p

Samstag, 20. September 2008 (20 Uhr)

RAW & COOKED (Schweiz)
Jürg Solothurnmann – sax
Michel Wintsch – p
Christian Wolfarth – perc

Samstag 27. September 2008 (20 Uhr)

OBLIQUE ( Berlin )
Pierre Borel – as, cl
Derek Shirley – b
Hannes Lingens – dr

Günter Heinz (DD) – tb, fl
Andreas Scotty Böttcher (DD) – p
Matthias Macht (DD) – dr, perc

Sonntag 28. September 2008 (11 Uhr)

Matinee für die ganze Familie
Hartmut Dorschner (DD) – sax
Günter Baby Sommer (DD) – dr, perc
und italienische Überraschungsgäste

Sonntag 28. September 2008 (20 Uhr)

Gordon Grdina Trio (Canada)
Gordon Grdina – g
Karlis Stilins – b
Kenton Loewen – dr

(Ein englischsprachiges Interview mit Gordon Grdina befindet sich auf der Internetseite von Songlines Recordings.)

Künstlerische Leitung: Günter Heinz

Eintrittspreise: www.blauefabrik.com

Dienstag, 19. August 2008

Duo-Intimität vom Feinsten

Am 25. August 2008 feiert Günter Baby Sommer seinen 65. Geburtstag


Drummer Günter Baby Sommer ist ein europäischer Ausnahmeperkussionist. Der Trompeter Wadada Leo Smith gehört seit Jahrzehnten zu den inspirierendsten Mitgliedern der Chicagoer Szene. Schon die Ende der siebziger Jahre mit Sommer, Smith und dem mittlerweile verstorbenen Peter Kowald eingespielte Schallplatte Touch the Earth – Break the Shells gehörte zu den Sternstunden der Begegnung zweier Improvisationskulturen.
Die hier vorliegende aktuelle Duo-CD
Wisdom in Time mit Smith und Sommer – eine Art reduktive Fortsetzung und Erweiterung dessen, was viele, viele Jahre zuvor zu dritt ausgearbeitet wurde – bietet abstrahiert-fragile Duo-Kunst vom Feinsten! Zuhören können – dies zeichnet die beiden Musiker ganz besonders aus, eine Qualität, die auf dieser CD in frappierender Weise hörbar wird. Das Duo erschafft sich seinen eigenen, magisch wirkenden melodisch-perkussiven Klangraum. Die beiden lassen sich auf eine Duo-Intimität ein, in die sich ein Miles Davis nie gewagt hatte – er hatte auch keinen Sommer!

Kein Wunder, dass eine Jury der New Yorker Jazz-Internetplattform ALL ABOUT JAZZ diese CD zu den Jazz-CDs des Jahres 2007 gewählt hat.

Am 25. August 2008 feiert Günter Baby Sommer seinen 65. Geburtstag – Jazz und Sonstiges gratuliert herzlich!

Es geht nicht darum, authentisch zu sein

„Gesangsgöttin“ Savina Yannatou veröffentlicht ihr drittes ECM-Album

Festivalauftritte von WOMAD bis Moers, eine vielumjubelte Tour durch Spanien, dann im März 2005 durch die USA mit der Folge enthusiastischer Konzertrezensionen in den führenden Musikblättern der Staaten, schließlich die Ankündigung, dass sie den renommiertesten sardinischen Musikpreis, den Maria-Carta-Preis, am kommenden 1. Oktober überreicht bekommen wird, als erste Künstlerin überhaupt (Maria Carta war die Hauptinterpretin und der Megastar der sardinischen Musik) – die griechische Sängerin und Komponistin Savina Yannatou „erobert“ die Welt.

„Eine neue griechische Göttin des Gesangs“, schwärmten Kritiker vor fünf, sechs Jahren. Doch in Griechenland selbst hatte die Yannatou schon ab 1983 eine ganze Reihe von CDs herausgebracht – einen Liederzyklus zur Mutter Maria, Volkslieder aus dem Mittelmeer-Raum, sephardische, in Griechenland gesungene Lieder, Neuinterpretationen von Schlagern und Filmmusik des Komponisten Manos Hadjidakis, frühe eigene, Artrock-beeinflusste Songs aus den achtziger Jahren sowie Kinderschlaflieder –, 2003 betrat sie mit ihrer ersten ECM-Veröffentlichung „Terra Nostra“ (einer Anthology von Live-Aufnahmen aus ihren griechischen CDs) gewissermaßen gesamteuropäisches Terrain. Darauf enthalten sind traditionelle griechische Songs, ergänzt um ein Repertoire aus dem gesamten Mittelmeerraum: aus Albanien, Bulgarien, Korsika, Israel, dem Libanon, Tunesien, der Türkei, Sardinien, Sizilien, aber auch aus Frankreich und Spanien. Nun ist mit „Sumiglia“ die zweite ECM-Scheibe erschienen, auf der traditionelle Songs von Korsika und Palästina bis zur Ukraine dargeboten werden. Die Yannatou und ihr Ensemble erkunden mit Instrumenten wie Ud oder Ney das offene Feld zwischen nahöstlichen Strukturen, Folklore und moderner Jazz-Improvisation.

Doch wie eigentlich kam die 1959 geborene Griechin mit klassischer Gesangsausbildung und Neigung zu experimentellen Improvisationen überhaupt dazu, Folksongs zu singen? Als Savina nämlich 15 war, stand griechische Folklore im Dienst der Diktatur. Folklore schien Savina nur dann erträglich, wenn sie mit verfemter Rockmusik vermischt wurde. In den Achtzigern dann hatte die junge Sängerin Yannatou beträchtliche Erfolge mit Alter Musik, Weisen der Renaissance und des Barock. Und auf Empfehlung des Komponisten Nikos Kipourgos sang sie bald auch – anfangs nicht gerade begeistert – traditionelle Kinderschlaflieder. Und ausgerechnet diese Schlaflieder weckten ihr Interesse am Griechenfolk: „Ich fand es interessant, mich mit meiner Stimme einzulassen auf die Tradition, aber auch herauszufinden, wie ich so ein Repertoire meiner ganz eigenen Vorstellung von Gesang anpassen konnte.“

Für die Yannatou macht es Sinn, dass sie Albanisches nicht den Albanern überlässt und Sizilianisches den Sizilianern, sondern sich in Athen „native speakers“ sucht, um sich von ihnen dann wegen der korrekten Aussprache beraten zu lassen. „Ich höre mir die Aufnahmen genau an“, so die Sängerin zu ihrer Arbeitsweise, „studiere, wo die Stimme sitzt, wie phrasiert wird. Sobald ich das begriffen habe, kann ich nach meiner Version suchen. Sie soll dem Original gerecht werden, aber es geht dabei nicht darum, authentisch zu sein.“

Auch wenn nicht selten in Grenzgebieten manche bulgarische und griechische Lieder dieselben Melodien haben, liegt die eigentliche Klammer fürs Mittelmeer-Repertoire im Gesang von Savina Yannatou und der Art, wie ihr Ensemble Primavera en Saloniko begleitet. „Im Prinzip ist es mir aber wichtig, die Substanz der Lieder nicht anzutasten. Ich improvisiere nur da, wo es mir angemessen scheint“, kommentiert sie ihre Arbeit.

Nun Ende August 2008 soll das dritte ECM-Album der griechischen Sängerin und ihrer sechsköpfigen Gruppe Primavera en Salonico veröffentlicht werden. Mit der darauf enthaltenen Musik geht die Yannatou wiederum auf weite Erkundungsreise durch den Mittelmeerraum und Osteuropa. Aus Armenien, Bulgarien, Serbien, Kasachstan, Süditalien, Griechenland und der sephardischen Überlieferung stammen die Lieder, nach deren unterschwelligen Berührungspunkten diese neue CD „Songs of an Other“ forscht. Yannatou nutzt ihr vokales Spektrum zwischen experimentellen Techniken und berührend zartem Gesang jetzt noch mutiger aus, während sich die Arrangements (überwiegend von Kostas Vomvolos) von allen folkloristischen Klischees fernhalten – und doch durchaus impulsiv loslegen können.

Mathias Bäumel / PR


CD-Auswahl:
Songs of an Other , ECM
Sumiglia, ECM
Terra Nostra, ECM
Virgin Maries of the World, Lyra
Songs of the Mediterranean, Lyra
Sephardic Folk Songs, Lyra

Pao na Po sto Synnefo (Composed by: Manos Hadjidakis), Lyra

Mathias Bäumel / PR



Freitag, 15. August 2008

Gegen die Download-Fastfood-Kultur


Ernst-Ludwig Petrowsky musiziert zur Ausstellungseröffnung vor einem Bild von Strawalde. (Foto: Walter Neukirchen/PR)


Ausstellung „Wechsel der Sinne“ in Berlin verdeutlicht Miteinander von Jazz und Kunst

„Wechsel der Sinne“ heißt eine Ausstellung in der Berlin-Köpenicker Galerie Grünstraße, die sowohl dem schweizerischen Jazz-CD-Label INTAKT Records als auch einer ganzen Reihe von mit dem Label verbundenen Künstlern gewidmet ist. Gezeigt werden noch bis zum 23. August sowohl alle etwa 150 CD-Cover als auch Malerei und Grafik einiger jener Künstler, deren Werke für die Covergestaltung der INTAKT-CDs genutzt wurden: A.R. Penck, Strawalde (der nach Auskunft von Label-Inhaber Patrik Landolt auch extra Originale für die CD-Cover schuf), Hans Scheuerecker, Marion Stille, Gerda Lepke und Max Bill.

Zustande gekommen ist diese einzigartige Ausstellung durch Aktivitäten der Galerie selber. „Wir wollten“, so die Galeristin Brigitte Denecke, „auch in diesem Jahr mit einer geeigneten Ausstellung das bei uns in Köpenick laufende Jazzfestival Jazz in Town begleiten.“ Bei der Suche nach geeigneten Ausstellungsthemen und Objekten seien sie per Internet auf den Jazzclub Neue Tonne und dessen Kabinettausstellung zu CD-Covergestaltungen und schließlich auf das schweizerische Label INTAKT Records und die Dresdner Künstlerin Gerda Lepke gestoßen. Einer der Kuratoren, Hinrich Beermann, selbst als Saxofonist in der Berliner Szene aktiv, und Chef des Galerie-Fördervereins, hat dann den Kontakt zu INTAKT-Chef Patrik Landolt hergestellt.

Das Motto von Patrik Landolt für die visuelle Gestaltung der INTAKT-CDs lautet: „Jeder CD ihr eigenes Gesicht!“ Die Musik jeder CD sei so einzigartig, „dass ihre Singularität auch bei der visuellen Präsentation ausgedrückt werden soll“, so Landolt. Einige hervorragende Grafiker, allesamt ausgewiesene Kenner der Musik, arbeiten seit vielen Jahren regelmäßig für Intakt Records: Die ersten Platten und CDs gestaltet Ruedi Wyss, Dozent an der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst sowie Veranstalter des Taktlos Bern und von Ton Art. Seit vielen Jahren prägt der Zürcher Grafiker, Jazzkenner und passionierte Konzertbesucher Eugen Bisig das Erscheinungsbild. In jüngster Zeit bereichert der typografische Gestalter Jonas Schoder, Mitglied der Zürcher Musikerorganisation OHR, das INTAKT-Design. Viele international bekannte Künstler steuern Bilder für die INTAKT-Cover bei, darunter A.R. Penck, Max Bill, Peter Frey, Niklaus Troxler und Strawalde. „Fast immer schlagen die Musiker Maler oder Grafiker vor, deren Arbeiten für die visuelle Seite ihrer Musik verwendet werden sollten“, sagt Landolt. Gerade die auf INTAKT vertretende Elite des ostdeutschen Freejazz lege großen Wert darauf, dass das Hörbare mit einem adäquaten Sichtbaren korrespondiere. „Häufig“, so Landolt, „sind diese Musiker auch gut mit den bildenden Künstlern befreundet und deswegen mit deren Werken und deren Malweise vertraut.“ Künstler wie A. R. Penck, Strawalde, Marion Stille (der Lebensgefährtin von Johannes Bauer), Gerda Lepke oder Hans Scheuerecker sind bestens für solche Kooperationen geeignet, haben sie doch allesamt eine enge Beziehung zu heutiger improvisierter Musik und zu Freejazz, waren oder sind selbst nebenher noch musikalisch-improvisierend tätig. Mit ihnen wird das Motto lebendig, das auch über der Tätigkeit Landolts und seiner Musiker stehen könnte: „Nur was ins Morgen weist, ist wirklich heutig.“

Während sich viele andere Kleinlabels, die sich ebenfalls der Förderung innovativer zeitgenössischer Improvisationsmusik verschrieben haben, mit ihren Covergestaltungen aus marketing-strategischen Gründen vor allem die jeweilige Label-Identity bedienen und ausprägen (zum Beispiel HatHut, Winter und Winter, ECM...), wird Landolt mit den Coverdesigns der CDs seines Labels den individuellen Qualitäten der jeweils veröffentlichten Musik am besten gerecht. Und so gehört Intakt seit mehr als zwei Jahrzehnten zu jenen Aktivisten, die öffentlich immer wieder durch praktisches künstlerisches Tun zeigen, um welches audio-visuelles Anspruchsniveau insgesamt es in der Musik eigentlich gehen sollte. Dies kann man lustvoll beim Gang durch die Ausstellung „Wechsel der Sinne“ nachvollziehen und erleben. Es geht dabei nicht nur um das Zusammenspiel zwischen Kunst und Free Jazz in der DDR (wie eine Zeitung schrieb), sondern – weiter gefasst – um das Finden visueller Entsprechungen für Musik, das Wahrnehmen des Melodischen und Rhythmischen im Visuellen und letztlich auch darum, dass das Visuelle vom Wesen improvisierter Musik nicht zu separieren ist. Im Kontext heutiger Download-Fastfoodkultur eine wichtige Ausstellungs-Tat.

Mathias Bäumel

Infos:
„Wechsel der Sinne“ - Sommer-Jazz-Ausstellung
Galerie Grünstraße
Grünstraße 16
12555 Berlin

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag: 13 - 19 Uhr
Sonnabend: 10 - 14 Uhr

Die Ausstellung ist bis zum 23. August 2008 zu sehen