Dienstag, 19. August 2008

Es geht nicht darum, authentisch zu sein

„Gesangsgöttin“ Savina Yannatou veröffentlicht ihr drittes ECM-Album

Festivalauftritte von WOMAD bis Moers, eine vielumjubelte Tour durch Spanien, dann im März 2005 durch die USA mit der Folge enthusiastischer Konzertrezensionen in den führenden Musikblättern der Staaten, schließlich die Ankündigung, dass sie den renommiertesten sardinischen Musikpreis, den Maria-Carta-Preis, am kommenden 1. Oktober überreicht bekommen wird, als erste Künstlerin überhaupt (Maria Carta war die Hauptinterpretin und der Megastar der sardinischen Musik) – die griechische Sängerin und Komponistin Savina Yannatou „erobert“ die Welt.

„Eine neue griechische Göttin des Gesangs“, schwärmten Kritiker vor fünf, sechs Jahren. Doch in Griechenland selbst hatte die Yannatou schon ab 1983 eine ganze Reihe von CDs herausgebracht – einen Liederzyklus zur Mutter Maria, Volkslieder aus dem Mittelmeer-Raum, sephardische, in Griechenland gesungene Lieder, Neuinterpretationen von Schlagern und Filmmusik des Komponisten Manos Hadjidakis, frühe eigene, Artrock-beeinflusste Songs aus den achtziger Jahren sowie Kinderschlaflieder –, 2003 betrat sie mit ihrer ersten ECM-Veröffentlichung „Terra Nostra“ (einer Anthology von Live-Aufnahmen aus ihren griechischen CDs) gewissermaßen gesamteuropäisches Terrain. Darauf enthalten sind traditionelle griechische Songs, ergänzt um ein Repertoire aus dem gesamten Mittelmeerraum: aus Albanien, Bulgarien, Korsika, Israel, dem Libanon, Tunesien, der Türkei, Sardinien, Sizilien, aber auch aus Frankreich und Spanien. Nun ist mit „Sumiglia“ die zweite ECM-Scheibe erschienen, auf der traditionelle Songs von Korsika und Palästina bis zur Ukraine dargeboten werden. Die Yannatou und ihr Ensemble erkunden mit Instrumenten wie Ud oder Ney das offene Feld zwischen nahöstlichen Strukturen, Folklore und moderner Jazz-Improvisation.

Doch wie eigentlich kam die 1959 geborene Griechin mit klassischer Gesangsausbildung und Neigung zu experimentellen Improvisationen überhaupt dazu, Folksongs zu singen? Als Savina nämlich 15 war, stand griechische Folklore im Dienst der Diktatur. Folklore schien Savina nur dann erträglich, wenn sie mit verfemter Rockmusik vermischt wurde. In den Achtzigern dann hatte die junge Sängerin Yannatou beträchtliche Erfolge mit Alter Musik, Weisen der Renaissance und des Barock. Und auf Empfehlung des Komponisten Nikos Kipourgos sang sie bald auch – anfangs nicht gerade begeistert – traditionelle Kinderschlaflieder. Und ausgerechnet diese Schlaflieder weckten ihr Interesse am Griechenfolk: „Ich fand es interessant, mich mit meiner Stimme einzulassen auf die Tradition, aber auch herauszufinden, wie ich so ein Repertoire meiner ganz eigenen Vorstellung von Gesang anpassen konnte.“

Für die Yannatou macht es Sinn, dass sie Albanisches nicht den Albanern überlässt und Sizilianisches den Sizilianern, sondern sich in Athen „native speakers“ sucht, um sich von ihnen dann wegen der korrekten Aussprache beraten zu lassen. „Ich höre mir die Aufnahmen genau an“, so die Sängerin zu ihrer Arbeitsweise, „studiere, wo die Stimme sitzt, wie phrasiert wird. Sobald ich das begriffen habe, kann ich nach meiner Version suchen. Sie soll dem Original gerecht werden, aber es geht dabei nicht darum, authentisch zu sein.“

Auch wenn nicht selten in Grenzgebieten manche bulgarische und griechische Lieder dieselben Melodien haben, liegt die eigentliche Klammer fürs Mittelmeer-Repertoire im Gesang von Savina Yannatou und der Art, wie ihr Ensemble Primavera en Saloniko begleitet. „Im Prinzip ist es mir aber wichtig, die Substanz der Lieder nicht anzutasten. Ich improvisiere nur da, wo es mir angemessen scheint“, kommentiert sie ihre Arbeit.

Nun Ende August 2008 soll das dritte ECM-Album der griechischen Sängerin und ihrer sechsköpfigen Gruppe Primavera en Salonico veröffentlicht werden. Mit der darauf enthaltenen Musik geht die Yannatou wiederum auf weite Erkundungsreise durch den Mittelmeerraum und Osteuropa. Aus Armenien, Bulgarien, Serbien, Kasachstan, Süditalien, Griechenland und der sephardischen Überlieferung stammen die Lieder, nach deren unterschwelligen Berührungspunkten diese neue CD „Songs of an Other“ forscht. Yannatou nutzt ihr vokales Spektrum zwischen experimentellen Techniken und berührend zartem Gesang jetzt noch mutiger aus, während sich die Arrangements (überwiegend von Kostas Vomvolos) von allen folkloristischen Klischees fernhalten – und doch durchaus impulsiv loslegen können.

Mathias Bäumel / PR


CD-Auswahl:
Songs of an Other , ECM
Sumiglia, ECM
Terra Nostra, ECM
Virgin Maries of the World, Lyra
Songs of the Mediterranean, Lyra
Sephardic Folk Songs, Lyra

Pao na Po sto Synnefo (Composed by: Manos Hadjidakis), Lyra

Mathias Bäumel / PR