Freitag, 15. August 2008

Gegen die Download-Fastfood-Kultur


Ernst-Ludwig Petrowsky musiziert zur Ausstellungseröffnung vor einem Bild von Strawalde. (Foto: Walter Neukirchen/PR)


Ausstellung „Wechsel der Sinne“ in Berlin verdeutlicht Miteinander von Jazz und Kunst

„Wechsel der Sinne“ heißt eine Ausstellung in der Berlin-Köpenicker Galerie Grünstraße, die sowohl dem schweizerischen Jazz-CD-Label INTAKT Records als auch einer ganzen Reihe von mit dem Label verbundenen Künstlern gewidmet ist. Gezeigt werden noch bis zum 23. August sowohl alle etwa 150 CD-Cover als auch Malerei und Grafik einiger jener Künstler, deren Werke für die Covergestaltung der INTAKT-CDs genutzt wurden: A.R. Penck, Strawalde (der nach Auskunft von Label-Inhaber Patrik Landolt auch extra Originale für die CD-Cover schuf), Hans Scheuerecker, Marion Stille, Gerda Lepke und Max Bill.

Zustande gekommen ist diese einzigartige Ausstellung durch Aktivitäten der Galerie selber. „Wir wollten“, so die Galeristin Brigitte Denecke, „auch in diesem Jahr mit einer geeigneten Ausstellung das bei uns in Köpenick laufende Jazzfestival Jazz in Town begleiten.“ Bei der Suche nach geeigneten Ausstellungsthemen und Objekten seien sie per Internet auf den Jazzclub Neue Tonne und dessen Kabinettausstellung zu CD-Covergestaltungen und schließlich auf das schweizerische Label INTAKT Records und die Dresdner Künstlerin Gerda Lepke gestoßen. Einer der Kuratoren, Hinrich Beermann, selbst als Saxofonist in der Berliner Szene aktiv, und Chef des Galerie-Fördervereins, hat dann den Kontakt zu INTAKT-Chef Patrik Landolt hergestellt.

Das Motto von Patrik Landolt für die visuelle Gestaltung der INTAKT-CDs lautet: „Jeder CD ihr eigenes Gesicht!“ Die Musik jeder CD sei so einzigartig, „dass ihre Singularität auch bei der visuellen Präsentation ausgedrückt werden soll“, so Landolt. Einige hervorragende Grafiker, allesamt ausgewiesene Kenner der Musik, arbeiten seit vielen Jahren regelmäßig für Intakt Records: Die ersten Platten und CDs gestaltet Ruedi Wyss, Dozent an der Zürcher Hochschule für Gestaltung und Kunst sowie Veranstalter des Taktlos Bern und von Ton Art. Seit vielen Jahren prägt der Zürcher Grafiker, Jazzkenner und passionierte Konzertbesucher Eugen Bisig das Erscheinungsbild. In jüngster Zeit bereichert der typografische Gestalter Jonas Schoder, Mitglied der Zürcher Musikerorganisation OHR, das INTAKT-Design. Viele international bekannte Künstler steuern Bilder für die INTAKT-Cover bei, darunter A.R. Penck, Max Bill, Peter Frey, Niklaus Troxler und Strawalde. „Fast immer schlagen die Musiker Maler oder Grafiker vor, deren Arbeiten für die visuelle Seite ihrer Musik verwendet werden sollten“, sagt Landolt. Gerade die auf INTAKT vertretende Elite des ostdeutschen Freejazz lege großen Wert darauf, dass das Hörbare mit einem adäquaten Sichtbaren korrespondiere. „Häufig“, so Landolt, „sind diese Musiker auch gut mit den bildenden Künstlern befreundet und deswegen mit deren Werken und deren Malweise vertraut.“ Künstler wie A. R. Penck, Strawalde, Marion Stille (der Lebensgefährtin von Johannes Bauer), Gerda Lepke oder Hans Scheuerecker sind bestens für solche Kooperationen geeignet, haben sie doch allesamt eine enge Beziehung zu heutiger improvisierter Musik und zu Freejazz, waren oder sind selbst nebenher noch musikalisch-improvisierend tätig. Mit ihnen wird das Motto lebendig, das auch über der Tätigkeit Landolts und seiner Musiker stehen könnte: „Nur was ins Morgen weist, ist wirklich heutig.“

Während sich viele andere Kleinlabels, die sich ebenfalls der Förderung innovativer zeitgenössischer Improvisationsmusik verschrieben haben, mit ihren Covergestaltungen aus marketing-strategischen Gründen vor allem die jeweilige Label-Identity bedienen und ausprägen (zum Beispiel HatHut, Winter und Winter, ECM...), wird Landolt mit den Coverdesigns der CDs seines Labels den individuellen Qualitäten der jeweils veröffentlichten Musik am besten gerecht. Und so gehört Intakt seit mehr als zwei Jahrzehnten zu jenen Aktivisten, die öffentlich immer wieder durch praktisches künstlerisches Tun zeigen, um welches audio-visuelles Anspruchsniveau insgesamt es in der Musik eigentlich gehen sollte. Dies kann man lustvoll beim Gang durch die Ausstellung „Wechsel der Sinne“ nachvollziehen und erleben. Es geht dabei nicht nur um das Zusammenspiel zwischen Kunst und Free Jazz in der DDR (wie eine Zeitung schrieb), sondern – weiter gefasst – um das Finden visueller Entsprechungen für Musik, das Wahrnehmen des Melodischen und Rhythmischen im Visuellen und letztlich auch darum, dass das Visuelle vom Wesen improvisierter Musik nicht zu separieren ist. Im Kontext heutiger Download-Fastfoodkultur eine wichtige Ausstellungs-Tat.

Mathias Bäumel

Infos:
„Wechsel der Sinne“ - Sommer-Jazz-Ausstellung
Galerie Grünstraße
Grünstraße 16
12555 Berlin

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Freitag: 13 - 19 Uhr
Sonnabend: 10 - 14 Uhr

Die Ausstellung ist bis zum 23. August 2008 zu sehen