Dienstag, 21. September 2010

Klingender Akt gegen den „musikalischen Fetischismus“, wie ihn Adorno analysierte


Der Künstlerische Leiter auch des 14. Festivals Frei Improvisierter Musik am 24. und 25. September in der Blauen Fabrik Dresden ist Günter Heinz - (Foto: H. J. Maquet)

Robert Musil stellte einmal die Frage, ob es „dumme Musik“ gäbe, und er antwortete selbst mit dem Vorschlag, dass man die Frage einmal umdrehen möge: „Ist vielleicht Dummheit musikalisch?“ Musil weiter: „Dauernde Wiederholungen, eigensinniges Beharren auf einem Motiv, Breittreten ihrer Einfälle, Bewegung im Kreis, beschränkte Abwandlung des einmal Erfassten, Pathos und Heftigkeit statt geistiger Erleuchtung“ – damit beschreibt Musil nicht nur Dummheit und Dummheit in der Musik, sondern – im ungewollten Vorgriff – die akustische Umweltverschmutzung, die sich täglich per TV, Klingeltönen, Echo-Hits, Disco und – im alpendeutschen Raum – Musikantenstadel über die „zivilisierte“ Welt ergießt.

Das Festival Frei Improvisierte Musik, das am 24. und 25. September in Dresden stattfindet, zeigt der Öffentlichkeit, dass es auch anders gehen kann. In diesem Jahr zum vierzehnten Mal bietet es dem Publikum abenteuerliche und überraschende Hör-Alternativen an. Es ist damit eine von immer weniger werdenden Konzert-Offerten, die auf die Wertschätzung von ästhetischer Offenheit, auf die Freude am Unvorhersehbaren und die „Apotheose“ des Augenblicks orientieren, ein klingender Akt gegen den „musikalischen Fetischismus“ (wie ihn Adorno analysierte), der sich in Wiedererkennbarkeit und Wiederholungen zeigt.

Das Festival ist der zeitgenössischen Improvisationsmusik verpflichtet, die sich seit den 60er Jahren in Europa als eigenständige musikalische Sprache entwickelt hat und durch ihre Spontaneität zu überzeugen weiß. Die Wurzeln dieser Musik liegen hauptsächlich in der komponierten zeitgenössischen Musik und im Free Jazz. Beeinflusst wurde sie besonders durch die in der Nachfolge der 2. Wiener Schule wirkenden Komponisten und durch das Musikdenken von John Cage.

Das Festival am kommenden Wochenende bietet an zwei Abenden anspruchsvolle Konzerte mit jeweils zwei Besetzungen. Auf dem Programm stehen sowohl Musiker aus Dresden und Sachsen als auch internationale Besetzungen.

M. B.

Detailliertes Programm hier.

Festival Frei Improvisierter Musik (FFIM 2010) in der Blauen Fabrik Dresden, Prießnitzstr. 44/48

Programm Teil 1

Freitag, 24. September 2010 (20 Uhr)

Adam and his Goats (D):
Samuel Dobernecker - sax,
Martin Schulze - tb,
Philip Scholz -dr

No Sugar (USA):
Liz Allbee – tp,electr
George Cremaschi - b,electr

Sonnabend, 25. September 2010 (20 Uhr)

Chefa Alonso (E) - sax, perc,
Albert Kaul (D) - clavicord

Hartmut Dorscher - sax,
Günter Heinz - tb,fl,
Matthias Macht - perc,
Jörg Ritter – perc

Tickets für 12 Euro (8 Euro ermäßigt) pro Abend an der Abendkasse.

Wie in den vergangenen Jahrgängen wird das Festival im November einen zweiten Teil bieten, u.a. mit der New Yorker Elektronik-Legende Eric Ross.

Dienstag, 20. Juli 2010

Broschüre zum »Tonne«-Jazz rund um die politische Wende im Oktober 1989 liegt vor

Mit »Streiflichter. Erinnerungen und Überlegungen zum Jazz in Dresden rund um die politische Wende« hat der Jazzclub Neue Tonne eine Broschüre veröffentlicht, die versucht, sowohl die Ereignisse rund um die »Tonne«-Konzerte der damaligen IG Jazz Dresden im Oktober 1989 und die Erinnerungen einiger Musiker dem Vergessen zu entreißen als auch Antworten auf die Frage zu finden, welche Rolle die die DDR-Kulturpolitik oder gar die Staatssicherheit bei der Übernahme der Gewölbekeller unter der Ruine des Kurländer Palais durch die IG Jazz am Ende der siebziger und am Anfang der achtziger Jahre spielte.

Zugleich ist die Broschüre abschließender Teil des Projektes »Wendejazz – Jazz in Dresden rund um die politische Wende 1989«, das aus dem Programm »20 Jahre Friedliche Revolution und deutsche Einheit« der Sächsischen Staatskanzlei gefördert worden war und in dessen Rahmen zwei Konzerte im Oktober 2009 sowie eine Ausstellung im Jazzclub Neue Tonne bis Ende 2009 stattfanden. Auch Vorträge und eine Webseite zählten zum Projekt.

Die unter Verwendung von Handzeichnungen des 1999 verstorbenen Dresdner Künstlers und Jazzfreundes Jürgen Haufe von Kerstin Hübsch (Grundsatz Grafikdesign) anspruchsvoll gestaltete Broschüre verdeutlicht, dass die damalige IG Jazz Dresden in den Jahren vor der politischen Wende als Jazzveranstalter durchaus zu den Nutznießern der Kultur- und Sicherheitspolitik der DDR zählte, keinesfalls »zu den Benachteiligten oder gar Unterdrückten«. Die Veröffentlichung verweist aber ebenso darauf, dass diese Konstellation durchaus auch zum Nutzen der Jazzfans und guter, internationaler Jazzmusik funktionierte: So manches wilde, interessante Konzert mit Musikern aus dem westlichen Ausland durfte stattfinden, weil es jazz-nahen Kulturfunktionären oder gar IMs gelungen war, »nach oben« das Misstrauen zu zerstreuen. Beschrieben wird anhand einiger weniger Beispiele auch, mit welch perfiden Methoden die Stasi Andersdenkende auch im Jazzbereich »zersetzen« wollte.
Der dokumentarische Teil der Veröffentlichung ruft zwei Konzerte in der alten »Tonne« im Oktober 1989 in Erinnerung und verdeutlicht, wie die Jubiläumskonzerte zwanzig Jahre danach im Oktober 2009 jene von 1989 konzeptionell aufgegriffen und weiterentwickelt haben.

Mathias Bäumel

Jazzclub Neue Tonne Dresden e. V. (Hrsg.): Streiflichter. Erinnerungen und Überlegungen zum Jazz in Dresden rund um die politische Wende, Dresden 2010, 56 Seiten, ISBN 978-3-941209-04-6

Bezug über www.jazzclubtonne.de oder, ab September 2010 wieder, zu Konzerten im Jazzclub Neue Tonne oder bei Sweetwater, Friedrich Wieck Str. 4, 01326 Dresden.
Spende an die »Tonne« ab 5 Euro pro Heft willkommen.

Mittwoch, 14. April 2010

Elina Duni singt auf ihrer neuen CD wiederum Lieder vom Balkan als Jazzballaden

(Foto: Andrin Winteler/PR)

CD-Tipp: Das zweite Album der noch jungen, 1981 in Tirana geborenen Sängerin Elina Duni hat es in sich, überzeugt noch mehr als der ohnehin schon fast „kultige“ Erstling. Mit ihren renommierten Begleitern aus der Schweiz, dem Pianisten Colin Vallon, dem Bassisten Bänz Oester und dem Schlagzeuger Norbert Pfammatter, gelingt ihr etwas, was trotz vieler Crossovers sehr selten ist: die Verschmelzung verschiedener Musikkulturen zu einem Klangkunstwerk, das wie aus einem Guss wirkt. Näheres auf SCHÖNE TÖNE.

Dienstag, 16. März 2010

Francesco Cusas Band Skrunch zelebriert in Dresden einen musikalischen Amoklauf

(Francesco Cusa. Foto: Promo/Nanni Angeli)

„Pape Satàn, pape Satàn, aleppe!“ Mit diesen Worten beginnt Plutos den siebenten Gesang im „Inferno“ von Dante Alighieri. Plutos, eine wolfsartige Kreatur, bewacht den vierten Ring der Alighieri’schen Hölle, in dem Geizige und Verschwender heulend Steinlasten wälzen.

„Pape Satàn, pape Satàn, aleppe“ – ebenfalls mit dieser Zeile überschreibt der sizilianische Jazzdrummer und Komponist Francesco Cusa den Begleittext zur CD „Du Démon et d’autres questions“ (1999) seiner Band „66six“. Und der Musiker schreibt weiter über den Kontext dieser Musik: „Vater Satan, Vater Satan. Der Teufel zuerst. Der Teufel, der in unsere dumpfen Existenzen sickert. Schlange stehen, Schlaflosigkeit, drückende Schuhe, Kopfschmerzen, besetzte Toiletten. Aber auch Geschichten über Piraten, verkaufte Seelen, heilige Jungfrauen, grauenhafte Inzeste und dezimierte Familien. In einem Wort: der Alltag. ... All das in Musik übersetzt, durchgeschüttelt, zusammengestellt und als kleinen Hexensabbat serviert. ... Erzählt mir bloß nicht, dass Edgar Allan Poe, Grenouille oder Stanley Kubrick keinen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten. Erzählt mir nicht, Nicole Kidman wäre nicht eine Erscheinungsform des gehörnten Ziegenbocks selbst!“
Die Titel dieser CD sind entweder nach Dämonen aus der christlichen Dämonologie oder nach Personen benannt, in denen sich, folgt man Cusa, Verlockungen und Gefährdungen verkörpern. „Abigor“ heißt die Serenade für Nicole Kidman, „Buzzati’s Capture“ verweist auf die „Inbesitznahme“ des Denkens des einst in Italien bekannten Journalisten, Malers, Zeichners und Bühnenbildners Dino Buzzati durch die katholische Kirche, andere Kompositionen sind Stanley Kubrick, dem Parfüm des Grenouille und Edgar Allan Poe gewidmet. Noch weitere Dämonen werden mit Titeln thematisiert, so Halphas, ein Dämon in Taubengestalt, der Städte anzündet und die Menschen in den Krieg schickt.

„Ach was, lass uns nicht über Dämonen, sondern über die Musik reden“, lacht Francesco Cusa abwehrend und schalkhaft, für den diese Dinge nur ein witziges Spiel sind. Und wenn er sich mit seiner Geisteshaltung als vom provokativ-sarkastischen Humor Frank Zappas beeinflusst erweist, der Nonsens und Sinnhaftigkeit in sich vereint, so spürt man besonders auch im Musikalischen Zappas Flair: Komplexe Rockrhythmen, skurril wirkende Motive und Themen, gebaut aus gewagten Intervallsprüngen und schrägen Tonart-Wechseln, knirschend und rau klingende, dennoch flüssig gespielte Gitarrenlinien und Einspielungen von geheimnisvoll klingenden Telefonstimmen sowie von Technikgeräuschen.

Natürlich sind dies nur Anklänge – Cusas Musik ist eigenwertig, klingt, im Gegensatz zu der Zappas, völlig europäisch. Brillante Bläserimprovisationen spielen nicht nur eine illustrative, sondern eine zentrale Rolle. Vor allem aber die Rhythmik ist bei Cusa, dem Liebling aller Jazztrommel-Freunde, südeuropäisch-faszinierend. Cusas Verschmitztheit, vor allem aber dessen Fähigkeit, das süditalienisch-sizilianische Erz-Musikantentum der großen katholischen Prozessions-„Bandas“ mit modernem Freejazz-Drumming zu verbinden, halten jedermann in Atem. Alles wird bei diesem Irrwisch zu Rhythmus – von Marmeladengläsern bis zu Kellerclubwänden, von Zahnputzbechern bis zu Atemgeräuschen.

Im Laufe der Jahre entwickelte sich in Cusas Musik eine Kontinuität von Titeln, die in verschiedenen Versionen immer wieder auftauchen. So spielte er bereits 1997 mit seiner Band 66six die Kompositionen „Where’s Stanley Kubrick?“, „Buzzati’s Capture“, aber auch „Psycho Jogging“, „Dr. Akagi“ und „Nonsense“. Alle gehörten sie später zu den Konzertprogrammen der unterschiedlich besetzten „Skrunch“-Bands und waren auf den jeweiligen CDs enthalten.

Auch die 2005-er CD „Psicopatologia del serial Killer“ präsentiert diese Titel in ruppigen, wilden Interpretationen – und endet mit dem Klangstück „Beyond Gods and Devils ... the day before...“(Jenseits von Göttern und Teufeln ... der Tag davor ...), das – die Geduld des Hörers mit lang andauernder Stille überstrapazierend – ein Grauen anzukündigen scheint.

Stattdessen jedoch folgen mit den CDs „A sicilian way of cooking mind“ (2006, Cusas Projekt „Naked Musicians“) und „L'arte della guerra“ (2007, Cusa mit Skrunch) zwei unter eigenem Namen veröffentlichte Werke, die vom Provokant-Symbolischen weg deutlich mehr in eine raffinierte, jazzige Richtung gehen, und die – im Falle der „Nackten Musiker“ – improvisierte Klangflächen ebenso anbieten wie fragmentierte und abstrahierte Prozessions-Banda-Bläsersätze, teils verbunden mit wahnwitzigen Latino-Drum-Passagen; der Titel „A Night in a Caravan“ (eine Kombination aus „A Night in Tunesia“ und „Caravan“) hat einen umwerfenden Charme.

Als nun der Jazzclub Neue Tonne im Laufe des Spätsommers 2009 nach einem Musiker suchte, der für das Jazzwelten-Festival „fragilitas“ 2010 eine spezielle Musik zum Thema „Amoklauf“ konzipieren könnte, war schnell klar: Zuerst soll Francesco Cusa gefragt werden.
Dieses Konzert findet nun statt – am 27. März als Abschluss des 2010-er Jazzwelten-Festivals.

Um all seine Ideen auch veröffentlichen zu können, betreibt Francesco Cusa das CD-Label „Improvvisatore Involontario“. Doch darauf sind nicht nur seine eigenen, sondern auch Werke aus dem Kreis befreundeter Musiker (Cusa manchmal als Sideman) erschienen.

Mathias Bäumel

Donnerstag, 11. März 2010

Das Theremin in der Pop- und Jazzgeschichte - ein Exot fungiert als „Klanggewürz“

(Die Theremin-Künstlerin Barbara Buchholz. Foto: PR)

Das Theremin in der Pop- und Jazzmusik? Die ersten, die diese selten verwendete Urform aller elektronischen Musikinstrumente im Pop-Bereich genutzt haben, könnten gegensätzlicher nicht sein: Dada-Naiv-Desertblues-Avantgardist Captain Beefheart und die Pop-and-Surf-Könige Beach Boys.

Im April 1967 nahm Beefheart mit seiner damaligen Magic Band das Material für seine erste offizielle LP „Safe as Milk“ auf – als Gast war für die Einspielung des berühmten Stückes „Electricity“ und von „Autumn’s Child“ der renommierte Theremin-Spieler Samuel Hoffman eingeladen. Diese beiden Aufnahmen gehörten zu den letzten, die Hoffman machte – seit Anfang der vierziger Jahre hatte der ausgebildete Fußorthopäde und professionelle Violinist in seinen Bar- und Unterhaltungsbands das Theremin popularisiert, war auch immer wieder zur Schaffung von Musik und von Background-Sounds für Horror- und Sci-Fi-Filme eingeladen worden, von Hitchcocks „Spellbound“ (1945; deutscher Titel „Ich kämpfe um dich“) bis zu William Beaudines „Billy the Kid versus Dracula“ (1966). Vor allem die jaulenden, sphärischen Kontrastklänge Hoffmans zu den Einleitungsriffs von „Electricity“ machten diesen Titel – natürlich neben dem unverkennbaren, rauen Gesang Beefhearts – zu einem frühen Markenzeichen des Musikers.

Nur wenig früher, im Februar 1966, hatten die Beach Boys die Instrumental-Tracks für den Song „I Just Wasn't Made for These Times“ (der Gesang wurde im April aufgezeichnet) aufgenommen; der Song erschien dann im Mai 1966 auf der LP „Pet Sounds“, dem elften Studio-Album der Hohepriester des Surf-Pop. An dieser Aufnahme war im Studio auch der Swing-Posaunist Paul Tanner beteiligt, der das von ihm aus dem Theremin weiterentwickelte Electro-Theremin (mit Drehknopf für die Lautstärke) spielte. Im Gesamtklang des Songs spielte dieses exotische Instrument allerdings kaum eine Rolle, anders als bei der wenige Monate später erschienen Beach-Boys-Single „Good Vibrations“. Dort war Tanners Electro-Theremin deutlich zu hören und konterkarierte schauerlich-frisch die forsche melodisch-rhythmische Eingangssequenz des Hits.

So lange diese ersten, seltenen Auftritte des Theremins im Pop- und Rockbereich auch her sein mögen – im Jazz lassen sich Spuren dieses Instrumentes so gut wie gar nicht und auch nicht so frühzeitig finden. Das liegt sicher auch daran, dass die Nachteile des Theremins im Jazz besonders schwer wiegen, dass es so schwerfällig und nur glissando-artig spielbar ist. Ohnehin ließen sich ähnliche Sounds mit den ab Ende der sechziger Jahre verfügbaren Synthesizern viel einfacher erzeugen.

Insofern verwundert es nicht, dass das Theremin – als Exot und „Klanggewürz“ – eher noch im zeitgenössischen Jazz und im Grenzgebiet zwischen Jazz und zeitgenössischer Konzertmusik genutzt wird, nicht im Swing und Bop.

Hier hat sich vor allem der italienische Multiinstrumentalist Vincenzo Vasi hervorgetan. Seine Theremin-Beiträge in Gianni Gebbias Switters sind unüberhörbar, geben dem Trio einen kräftigen, unverkennbaren Sound, brillieren mit Solo-Leistungen, erreichen eine geradezu rocktypische Intensität – erklärbar, fühlt sich Vasi doch auch von Captain Beefheart inspiriert. Etwas wirklich Besonderes ist Vasis Band Etherguys, ein Trio, in dem ausschließlich drei Thereministen spielen, neben Vasi noch die in Italien lebende Schweizerin Sabina Meyer und der ebenfalls mittlerweile auf dem „Stiefel“ ansässige japanische Techno- und Elektro-Avantgardist Gak Sato.

Mit Barbara Buchholz kommt nun eine der profundesten Theremin-Spielerinnen überhaupt nach Dresden. Gemeinsam mit Lydia Kavina, der Großnichte des Instrumentenerfinders Lev Sergejewitsch Termen (1896–1993), der sich im Westen später Leon Theremin nannte, gründete Barbara Buchholz 2005 die Plattform „Touch! Don't Touch!“ für das Theremin in der Neuen Musik. Als Meisterschülerin von Lydia Kavina studierte sie in Moskau und ist heute eine der führenden Virtuosinnen an diesem außergewöhnlichen und seltenen Instrument. Im Bereich des Jazz und der Improvisierten Musik tritt sie mit diversen Ensembles auf, unter anderem im Trio mit dem norwegischen Trompeter Arve Henriksen und dem Live-Elektroniker Jan Bang. Sie tourt mit der Jazz Bigband Graz im Rahmen der Produktion „Electric Poetry & Lo-Fi Cookies“, die auch auf CD eingespielt wurde. Bei Auftritten mit ihrem Soloprogramm „Theremin: Russia with Love“ lässt sich Barbara Buchholz vom Projektionskünstler Pedda Borowski unterstützen.

Buchholz spielt am 26. März 2010 mit Pedda Borowski zum Jazzwelten-Festival Dresden 2010.

Mathias Bäumel

Freitag, 5. März 2010

Gianni Gebbia und Eiko Ishibashi begeisterten als Joraku & Lioneiko in der „Tonne“ Dresden

(27. Februar 2010: Gianni Gebbia - Altsax - und Eiko Ishibasi - hier an den Drums, sonst noch Piano, Flöte und Electronics - im Jazzclub Neue Tonne Dresden. Foto: Wolfgang Zimmermann)

Garantiert: Wäre ein Maestro Giacomo Puccini in seiner idyllischen Villa bei Viareggio am Mittelmeer noch aktiv zugange, dann hätte er Eiko Ishibashi und Gianni Gebbia längst in sein Orchester integriert. War doch Puccini u.a. auch dafür bekannt, dass er stets begierig auf neue, ungewöhnliche und bis dato noch nie gehörte Musik war. Und das japanisch-italienische Duo – das sich klangvoll „Joraku & Lioneiko“ nennt - hätte ihm genau solche neue, ungewöhnliche und bis dato noch nie gehörte Musik liefern können. Schade drum; das Ergebnis einer solchen Zusammenarbeit zu hören, wäre gewiss ein Genuss für Körper, Ohr und Seele gewesen.

Spekulationen dieser Art sind natürlich müßig; der Eindruck aber, den das Konzert der Japanerin Eiko Ishibashi mit dem Sizilianer Gianni Gebbi am 27. Februar 2010 im gut gefüllten Jazzclub Neue Tonne hinterlassen hat, war alles andere als das. Mit der zierlichen japanischen Multiinstrumentalistin Eiko Ishibashi wehten urplötzlich ganz ungewöhnliche Klänge durch das Sandsteingewölbe. Ein fragiles, sehr zartes und zurückhaltendes Klavierspiel drang bis in jeden Winkel des Gewölbes. Und eine Melodie, so fremd und geheimnisvoll, wie sich der ferne Osten den meisten Europäern heute immer noch darstellt, schwebte im gemächlichen Tempo über die Köpfe der Konzertbesucher hinweg. Eiko Ishibashi selbst ist solch ein zerbrechlich scheinendes Wesen; mit einem tief in die Stirn gezogenen und von einer Blüte gezierten Filzhut sitzt sie am Flügel und entlockt ihm diese beinahe unwirklichen Töne. Die büßen auch nichts von ihrer geheimnisvollen Aura ein, als Gianni Gebbias Saxofon sich darunter mischt.

Ganz im Gegenteil; Gebbia nimmt das Angebot von Eiko Ishibashi bereitwillig an und reduziert die gewohnte Lautstärke des Saxofons um ein Vielfaches. Und am Ende ist aus dem gemeinsamen Spiel ein durch und durch romantisches Date geworden; eine Begegnung von Stimme, Piano und Saxofon. Zu schön scheint diese Musik, um sie überhaupt in das Fach Jazz einsortieren zu wollen oder zu müssen. Und doch passiert genau das, was den Jazz eigentlich kennzeichnet. Die beschworene Harmonie findet urplötzlich ihr Ende und die Musik gleicht nun einer entfesselten Orgie. Wild und ungestüm brüllt das Saxofon und lautstark widerspricht das Klavier. Und weil der so sanft wirkenden Eiko Ishibashi dieser Widerspruch wohl immer noch zu gemäßigt erscheint, verlässt sie urplötzlich den Klavierhocker, setzt sich ans Schlagzeug und drischt dort all ihre Emotionen kraftvoll in Richtung des Partners. Doch es ist lediglich ein Streit auf der Ebene der Musik und der kann letztendlich nicht hemmend, sondern nur fördernd wirken.

Zwei CD’s haben die beiden gemeinsam mittlerweile bereits aufgenommen (eine davon, mit Daniele Camarda, ist seit einiger Zeit schon veröffentlicht, die zweite soll ein ein paar Wochen folgen) und quer durch das Material dieser beiden Scheiben arbeitet sich das Programm des Abends. Dazu gehören noch optisch-akustische Spielereien. Etwa dann , wenn Gianni Gebbia einen Gummihandschuh über den Trichter seines Grammophons spannt und die fünf Finger durch die Intensität seines Spiels aufstehen und wieder zusammenfallen lässt. Das ist so etwas wie eine Standardnummer des Sizilianers. Und sie gehörte schon in sein Repertoire, als er vor etwa eineinhalb Jahren in anderer Besetzung in Dresden spielte.

Gebbia hat ehe eine gute und solide Beziehung zur sächsischen Landeshauptstadt; die u.a. auch auf der langjährigen Zusammenarbeit mit dem Jazztrommler Günter „Baby“ Sommer basiert. Das war, als das Musizieren in sizilianischen Orchestern für ihn längst schon Vergangenheit war und er verstärkt die Zusammenarbeit mit den Jazzern Europas und auch aus Übersee suchte. Als Peter Kowald noch lebte, verband die beiden eine sehr intensive Freundschaft. Auch die Tanztheaterszene interessierte Gianni Gebbia brennend; so arbeitete er u.a. auch zu deren Lebzeiten mit der Choreographin Pina Bausch zusammen.

Die Zusammenarbeit mit Eiko Ishibashi ist eine nächste und wieder etwas andere Station des experimentierfreudigen Sizilianers (der übrigens zwei Tage nach dem Konzert – am 1. März nämlich – seinen 39. Geburtstag feiert), die seiner nicht nachlassenden Neugier entspringt. Und sein eigentliches Konzept bleibt auch dann noch bestehen, wenn beide einer von der Rockband Uriah Heep gespielten und später vom norwegischen Saxofonisten Jan Garbarek bearbeiteten Nummer eine ganz andere und ganz neue Variante hinzufügen. Oder wenn plötzlich eine fröhliche und typisch italienische Volksmusik erklingt. Letztendlich liefern sich Eiko Ishibashi und Gianni Gebbia einen überaus spannenden und kreativen Dialog; sie setzt dabei ihre Querflöte und er sein Saxofon ein. Wie dieser Dialog endet? Natürlich unentschieden!

Wolfgang Zimmermann

Freitag, 5. Februar 2010

Von der Zerbrechlichkeit des Seins oder dem Wandeln auf schmalem Grat

Das 6. Festival JAZZWELTEN findet vom 19. bis zum 27. März 2010 zum Thema „Fragilitas“ in Dresden statt


(Gary Lucas improvisiert zu den JAZZWELTEN 2010 - wie hier im Bild in Malaga 2009 - zu Avantgarde-Filmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Foto: PR)

Das Programm des 6. JAZZWELTEN-Festivals des Jazzclubs Neue Tonne steht. Das Festival, das diesmal unter dem Motto „Fragilitas“ vom 19. bis zum 27. März 2010 im Clubkeller des Jazzclubs Neue Tonne, im Clara-Schumann-Saal des Kulturrathauses und im Filmtheater Schauburg stattfindet, bietet trotz wiederum sehr beschränkter Finanzen innovative Musikprojekte – diesmal nicht selten aus den Grenzgebieten zwischen melodischen, zarten Improvisationen und elektronischer Musik – sowohl mit gestandenen Größen des internationalen zeitgenössischen Jazz als auch mit jungen, experimentierfreudigen Nachwuchsmusikanten.

Premieren (so hat der Sizilianer Francesco Cusa die Musik für den Auftritt mit seiner Band Skrunch extra im Auftrag der „Tonne“ zum Thema „Amoklauf“ komponiert) und Improvisationen zu Filmen – diesmal mit Gary Lucas zu Avantgarde-Filmen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – gehören ebenfalls wieder zum Programm. Auch das instrumentengeschichtlich erste elektronische Musikinstrument überhaupt, das Theremin, bekommt mit der audio-visuellen Show von Barbara Buchholz und pedda Borowski einen Hauptauftritt.

Die Macher des Programms, Dr. Helmut Gebauer und Steffen Wilde, wollen Musik vorstellen, die von der Zerbrechlichkeit des Seins oder dem Wandeln auf schmalem Grat „erzählt“. Ein existenzielles Thema unserer, aber bei weitem nicht nur unserer Zeit. Gebauer: „In diesem Thema schwingt auch nicht nur Schwermut mit, sondern ebenso Leichtigkeit, Verspieltheit, Glück, immer aber auf schmalem Grat. Das Gefühl, in einer fragilen Welt zu leben, der äußeren wie der inneren, hat viele Facetten. Es kann uns begegnen als Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, aber auch als Freude, sich in ein ungewisses Neues vortasten zu können. Das Wandeln auf schmalem Grat erzeugt Angst, aber auch Lust, und eine Vielzahl von Nuancen zwischen diesen Polen. Es kann belasten, aber auch befreien.“

Und mit einem ganz speziellen Befreiungsschlag startet auch das Festival – die Jerseyband zeigt am ersten Tag, wie umwerfend und gnadenlos Hard Core klingt, wenn er mit Trompete, drei Saxofonen, Gitarre, Bass und Schlagzeug gespielt wird.

Conny Bauer kombiniert in seinem Solo-Konzert „Der gelbe Klang“ Posaune mit Live-Elektronik, Lorenz Raabs Blue spüren in intelligenten und verblüffenden Instrumentierungen einer silbrigen Wehmut nach und erinnern damit, ob gewollt oder ungewollt, auch an Miles Davis. Der holländische Grotesk-Vokalkünstler Jaap Blonk wird Stargast der JAZZWELTEN-spezial-Vocal-Night, und Lou Reeds Lieblingsband Lucibel Crater aus New York verzaubert die Konzertbesucher mit Sounds an der Schnittstelle von Rock, Jazz, Kammermusik und Electro. Sie sind Meister darin, durch Loops und Live-Overdubs vielschichtige Songs mit verblüffenden Grooves und faszinierenden Klängen voller Ecken, Kanten und Hintertüren entstehen zu lassen.

Und schließlich gibt es auch eine Art „Feature-Ring Spezial“ mit dem Turntable- und Perkussionskünstler-Duo Christopher Rumble.

Das Gesamtprogramm sowie alle Infos – auch zum Ticketbezug – findet man auf der JAZZWELTEN-Seite des Jazzclubs Neue Tonne Dresden oder gleich über www.jazzwelten.de.

M. B.