Anfang November 2010 gab sich der Jazzclub Neue Tonne ein anderes Logo, das grafische Elemente der früheren Wort-Bildmarke nutzt.
Anlass dieser Änderung war der zehnte Geburtstag des Dresdner Jazzvereins, der sich zugleich in »Jazzclub Tonne« umbenannte.
Schon in den ersten Tagen der Nutzung des veränderten Logos äußerten sich Besucher von »Tonne«-Konzerten und der »Tonne«-Internetseite mündlich oder per E-Mail kritisch zum veränderten Logo, teils mir gegenüber, teils an den »Tonne«-Vorstand gerichtet. Ich selbst veröffentlichte hier auf Jazz+Sonstiges ebenfalls eine kritische Sicht, die wiederum zu einem Echo unter Dresdens Jazzfreunden führte.
Kritik am veränderten Logo
Nachfolgend veröffentliche ich die mir bekannten und mir im Laufe der Zeit zwischen November 2010 und Januar 2011 per E-Mail zugegangenen Kritiken.
Christian Löser (Löser & Partner Werbeagentur GbR):
»Deine fachlich fundamentierten Argumente gegen das neue Logo kann ich als Grafikdesigner nur bestätigen. Abgesehen von der gestalterischen Fehlleistung ist die Verfahrensweise auch moralisch (rechtlich) verwerflich. Das Urheberrecht erlischt erst 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers. Insofern könnte der Plagiator zu einer so genannten Unterlassungserklärung aufgefordert werden.«
Jochen Stankowski (Atelier Stankowski – Visuelle Kommunikation):
»Recht haben sie!!!!!!!! Ist ja grausam. ›Verschlimmbessert‹ wird so etwas genannt. ... Aber das Haufezeichen ist sehr gut. «
Frank Ulbrich (Förderer):
»Hier kann ich meine Enttäuschung nicht verbergen. Was war der Grund, das lebendige und originelle Logo von Jürgen Haufe gegen das sterile, schlecht nachempfundene neue Logo auszutauschen? Für mich ein echter Missgriff. Aber vielleicht lässt sich da noch was ändern?«
Frank Zeiler (Förderer):
»Ich möchte nur mein Befremden über das ›neue‹ Logo ausdrücken, eine völlig nutzlose Aktion bzw. nutzloser Aktionismus, grafisch schwach und vielleicht auch urheberrechtlich nicht korrekt, da man ein geschütztes Logo teilweise verwendet hat, allerdings bös ›verschlimmbessert‹.«
Bert Siegel (art2viz – Kulturmanagement – Onlinemarketing):
»Das ist ja wirklich merkwürdig und marketingmäßig völliger Blödsinn. Wieso macht das die Tonne? Zudem kann das neue Logo dem alten grafisch nicht mal ansatzweise das Wasser reichen.«
Matthias Creutziger (Musik- und Theaterfotograf):
»Das neue Logo finde ich in keiner Weise gelungen und ist in dieser Form auch kein funktionierendes ›Logo‹. Das ›O‹ als Trompetenöffnung funktioniert so nicht und die Schrift... Naja, was soll das? Auch fehlt der Bogen darüber, der die Tonne symbolisierte. ... Ich jedenfalls würde mich sehr darüber freuen, wenn das alte Logo von einem der wichtigsten Dresdner Grafiker, dem der Club auch sehr viel zu verdanken hat, wieder die Tonne symbolisieren würde.«
Frank Voigt (Künstler):
»Das neue ›Tonne‹-Logo sieht hilflos und dilettantisch aus. Nichts gegen Kinderzeichnungen, aber für ein professionelles Logo sollte man auch einen professionellen Gestalter finden! Zumal das ›alte‹ Zeichen einfach gut ist!«
Manfred Richter (Typograf, Drucker, Geschäftsführer SchumacherGebler):
»Das alte, bisherige Logo von Jürgen Haufe war weder unzeitgemäß noch grafisch unstimmig noch konnte man es nicht mehr sehen. Zwar kann man das Zehnjahresjubiläum des Vereins als Anlass für Veränderungen sehen, aber warum dann ein neues Logo, wenn es schlechter ist als das alte? Kurt Weidemann formulierte treffend:
›In keinem Land werden Symbole, Hymnen, Hoheitszeichen so leichtfertig in Frage gestellt wie bei den Deutschen. Die Darstellung muss sich nicht zwangsläufig ändern, weil sich Strukturen und Technologien geändert haben. Fortschritt, Modernität, Innovation müssen Produkte und Leistungen unter Beweis stellen, nicht ein mit jedem Zeitgeschmack geändertes Zeichen.‹«
Martin Hörenz (Jazzfreund und »Tonne«-Konzertbesucher):
»Liebe Freunde des Jazz, da blieb mir glatt die Spucke weg! Unglaublich unfassbar ist es, dass ihr das Aushängeschild des Jazzclubs, das Logo der Tonne, so verunstaltet habt. Ist denn in Dresden wirklich alles möglich? Ich glaube, nicht nur ich hatte den vom Dresdner Künstler Jürgen Haufe gestalteten Schriftzug so verinnerlicht, dass mir die Veränderung wie ein Schlag ins Gesicht vorkam. Wie war das möglich und wer hat das zu verantworten? ... Der Grafiker Jürgen Haufe, zuletzt Professor an der Dresdner Kunsthochschule, war bis zu seinem Lebensende eng mit dem Jazz und der Dresdner Jazzszene verbunden. In dem von ihm gestalteten Logo steckt seine Energie, seine Seele, sein Herzblut. Unabhängig von der moralischen Frage steht die juristische: ist diese dilettantische ›Verballhornung‹ einfach so, ohne Einbeziehung der Witwe des Künstlers überhaupt statthaft?«
Petra Müller (Professorin Kommunikationsgestaltung an der HTW Dresden und Inhaberin eines international tätigen eigenen Büros):
»Ich sehe das Erscheinungsbild in der Überarbeitung von Tauundtag sehr verändert, sehr unidentisch, sehr schwach in der Aussage, schlicht zu wenig prägnant für das schon eingeprägte Logo. Selbst wenn das Logo von Jürgen Haufe mit dem redundanten Untertitel Jazzclub versehen war, hat es doch etwas vom Bogen des Kellers, von der Bewegtheit der Musik und die Kraft einer Tonne durch die fetten Buchstaben. Auch der Trompete die Öffnung wegzunehmen, zerstört den Signal- und Zeichencharakter der Trompete. Die Typo passt ebenso nicht zusammen, zudem ist sie zu leicht (Jazzclub) und zu kantig (TONNE).«
Darüber hinaus gibt es noch viele mündliche Kritiken am Logo, die jedoch nicht in Schriftform vorliegen.
Analyse der Kritiken
Analysiert man diese Kritiken, lassen sich die Gründe für die Ablehnung des neuen Logos wie folgt zusammenfassen:
Erstens – Kritik unter dem Marketingaspekt:
Gerade weil die »Tonne« die »Tonne« bleiben, also ihr Wesen als innovative Spielstätte des neuen Jazz kontinuierlich beibehalten will, sehen fast alle Kritiker überhaupt keinen marketingbedingten Grund für die Einführung eines neuen Logos, denn ein neues Logo symbolisiert und kommuniziert ja immer eine signifikante Änderung. Die Einführung eines neuen Logos für ein öffentlich bekanntes Unternehmen, das kontinuierlich so wie bisher weiterarbeiten will, schafft Irritationen und erschwert oder zerstört den Prozess der Marken-(Image-)Bildung.
Zweitens – Kritik an der grafischen Qualität:
Alle Kritiker empfinden die grafische Qualität als schlecht. Manche von ihnen begründen ihre Meinung – und zwar auf den Ebenen der Typografie, der Grafik und der Symbolik.
Argumentiert wird nach dem Motto: Wenn schon diese unnötige und marketingmäßig irreführende Einführung eines neuen Logos, dann sollte das neue Logo doch wenigstens grafisch deutlich besser als das vorherige sein. An dieser Stelle entsteht doppelte Enttäuschung: Es wird Geld ausgegeben und Zeit verwendet für etwas Unnötiges, das dann auch noch qualitativ schlecht realisiert wird.
Drittens – Kritik am Vorgehen des »Tonne«-Vorstandes bei der Einführung des neuen Logos:
Die Kritiker halten es für schlechten Stil oder vielleicht sogar für eine mögliche Verletzung des Urheberrechtes, ohne vorherige Nachfrage bei Anne Haufe (der Witwe des Urhebers des bisherigen Logos, Jürgen Haufe) und ohne deren schriftliche Genehmigung signifikante Elemente aus dem Haufe’schen Logo herauszunehmen (die Trompete ist geistiges Eigentum Jürgen Haufes) und in eine andere grafische Umgebung zu transplantieren. Basis dafür ist die Unterscheidung von Urheberrecht und Nutzungsrecht. Letzteres hat für das bisherige Logo die »Tonne«, das Urheberrecht verblieb aber bei Jürgen Haufe bzw. Anne Haufe.
Interpretation
Die relativ große Zahl der Kritiker sollte vor allem als eindrucksvoller Beleg für die Verbundenheit mit der »Tonne« interpretiert werden; wenn irgendein anderer Dresdner Klub sein Logo änderte, würde das wohl kaum jemanden interessieren. Sie zeugt aber auch von der Verbundenheit mit und der Wertschätzung der Arbeit von Jürgen Haufe, dem ersten Ehrenmitglied des alten »Tonne«-Vereins, in dessen Traditionslinie sich der jetzige Verein durch seine Namensänderung ganz betont stellt.
Eine ganze Zeit lang wurden die Kritiken unveröffentlicht gelassen; sie wurden dann Ende Februar 2011 an den »Tonne«-Vorstand übermittelt, verbunden mit dem Angebot, auf Jazz+Sonstiges eine Reaktion auf die Kritiken zu veröffentlichen.
Auffassung des »Tonne-Vorstandes«
Nun nachfolgend also die Auffassung des »Tonne«-Vorstandes zu den Kritiken am veränderten »Tonne«-Logo:
»Es ist für uns nicht überraschend, dass Veränderungen in der Gestaltung des öffentlichen Auftritts der Tonne, sei es die neue Gestaltung des Programmflyers, der Internet-Seite oder eben des Logos, Diskussionen und damit eben auch Kritik auslöst. Wer sich mit seiner Arbeit der Öffentlichkeit stellt, muss damit rechnen. Und wer seit zehn Jahren nicht selten bis an die Grenze der Belastbarkeit an der Erhaltung und Entwicklung der Tonne-Tradition arbeitet, hat gelernt Risiken einzugehen und prinzipiell auch mit eigener Fehlbarkeit zu leben. Wir haben gelernt, immer dann, wenn es uns erforderlich erschien, auf bestimmte Strategien zu beharren oder uns eben auch zu korrigieren. Wir haben aber auch gelernt, dass sich das Leben eines Jazzclubs aus der Binnenperspektive als erheblich komplexer und darum auch fragiler erweist, als es von Außen erscheint, und dass man gut beraten ist, nicht auf jedes Problem aufgeregt zu reagieren.
Was uns also nicht überrascht, ist Kritik. Was uns jedoch überrascht, ist, mit welcher Selbstverständlichkeit dabei ein über allen Zweifeln erhabener Anspruch auf rechtes Wissen in Sachen Ästhetik, Moral und Recht erhoben wird. Was uns befremdet, ist, mit welcher Kühnheit mitunter auf unsere Motive oder den kollektiven mentalen Zustand des Vorstandes geschlossen wird, und mit welcher Heftigkeit wir von einigen Jazzfreunden angegriffen werden.
Was uns eher wundert, ist, welcher Stellenwert dem Werbeauftritt und den dabei genutzten Medien und Symbolen beigemessen wird, der ja nicht der eigentlicher Inhalt des Tonne-Geschehens ist, sondern auf diesen hinweisen soll. Und dieser Inhalt ist von anerkannt hoher Qualität. Dereinst hoffnungslos herunter gewirtschaftet, spielt die Tonne heute wieder in der nationalen Liga der Jazzclubs. Unsere Anstrengungen sind von daher primär darauf gerichtet, auch weiterhin zu den renommiertesten Clubs Deutschlands zu gehören.
Damit aber soll die Kritik an der Gestaltung des Logos nicht klein geredet werden. Wir werden uns ernsthaft mit jeder sachlichen Kritik auseinandersetzen. Die Würde der Beteiligten verletzende Beschimpfungen sind dabei jedoch alles andere als hilfreich, weil sie in der Regel dazu führen, einen Kommunikationsprozess abzubrechen bzw. gar nicht erst in Gang kommen zu lassen. Sachlich ist eine Kritik, die Argumente vorträgt, die überprüft bzw. diskutiert werden können. In diesem Sinne werden wir nach einer geeigneten Kommunikationsform suchen und gern jene, die in diesem Sinne das Tonne-Leben mitgestalten wollen, zur Diskussion einladen.
Dr. Helmut Gebauer
Vorstandsvorsitzender«
Ausblick
Es darf angenommen werden, dass sich sowohl der »Tonne«-Vorstand, der sich für die Einführung des veränderten Logos engagierte, als auch die Schar der Kritiker sehr mit dem Dresdner Jazz und mit dem Jazzclub Tonne Dresden verbunden fühlen. Deswegen sollten sich beide Gruppierungen nicht jeweils als Gegner sehen. Weiterhin darf wohl davon ausgegangen werden, dass die allermeisten Logo-Disputanten im bisherigen »Tonne«-Logo von Jürgen Haufe sowohl grafisch als auch symbolträchtig eine sehr gute, dem Wesen unserer »Tonne« adäquate Lösung sehen. Und einig dürften sich sicher auch alle darüber sein, dass der Jazzclub Tonne Dresden sein Kerngeschäft, das Veranstalten exzellenter Jazzkonzerte innovativen Charakters, vorbildlich und erfolgreich betreibt; nicht zuletzt wurde die »Tonne« erst kürzlich unter die besten drei Live-Clubs Deutschlands gewählt.
Unterschiedliche Sichtweisen und Erwartungen gibt es lediglich bei der Frage nach dem Stellenwert von Grafikdesign und insbesondere Logo. Für manche zählen diese Aspekte lediglich zum »Werbeauftritt«, der auf das Eigentliche hinweisen soll, für andere sind sie Teil des Eigentlichen, dem weithin Sichtbarmachen hoher eigener künstlerischer Ansprüche sowie dem Anbieten von Alternativen gegen kulturelle Anspruchslosigkeit.
Mathias Bäumel