Sonntag, 6. Mai 2012

Häufig bemüht, aber dennoch irreführend: Vergleich von Omega und Stones als Werbegag

(János Kobor. Quelle: Omega.hu)
(Mick Jagger. Quelle: Wikipedia/Dina Regine)

Omega – die ungarischen Rolling Stones? Werbewirksam wäre eine solche Formulierung natürlich, aber nur für eine Band, die sich von vornherein mit dem zweiten Platz zufrieden gäbe.

Realistisch gesehen lassen sich die beiden Gruppen nur bedingt miteinander vergleichen. Klar – sie sind die beiden ältesten kontinuierlich aktiven Rockbands der Welt und gehören insofern schon in ein- und dieselbe Kategorie; das Konzert am 23. September 1962 im Universitätsklub der Technischen Hochschule (heute längst Universität) Budapest gilt als das Gründungsereignis für Omega, während das Konzert im Marquee-Klub am 12. Juli 1962 die Geburt der Rolling Stones markiert. Eine weitere Gemeinsamkeit eint beide Ensembles: sie profitieren, ja: sie leben von einem außergewöhnlich charismatischen Frontmann – Omega von János Kóbor, die Stones von Mick Jagger.

Welche Rolle eine solch »teuflisch wirkende Rampensau« spielt, wurde an den Animals mit Eric Burdon in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre deutlich – sie hatten keinesfalls die schlechteren Bluesrock-Kompositionen als die Stones, und sicher war Burdon sogar der bessere bluesige Rock-Sänger als Jagger – aber dennoch ließ der magisch-dämonische Jagger den Animals mit Burdons harmlos wirkender Knollo-Art keine Chance.
Auch im Falle Omega sehen die Fans den drahtigen, derwisch-artigen, blond- (nun: grau-) mähnigen Kóbor vor ihrem geistigen Auge, der mit seinem Image des ewig jugendlichen Bösewichts (»Was, der ist fast siebzig??!!«) seine Band immer wieder interessant und anziehend hielt. Und die Magie Kóbors währt – wie die Jaggers – nun schon einige Jahrzehnte.

Nach dem Weggang von Drummer Jozsef Laux und dem spiritus rector von Omega, Gábor Presser, im Jahre 1971 hatte es Omega dem Sänger Kóbor zu danken, dass die ungarische Öffentlichkeit der Band zur Stange hielt. Und wenn zu Recht immer wieder hervorgehoben wird, dass Omega mit dem Kult-Titel »Gyöngyhajú lány« (»Perlenhaariges Mädchen«) Ende der sechziger Jahre eine Komposition im Programm hatte, die als »Schreib es mir in den Sand« für Frank Schöbel und als »White Dove« für die Scorpions eine Art Karriere-Beschleuniger darstellte, darf jedoch nicht vergessen werden, dass dieser Song (wie bis dahin nahezu alle) von Gábor Presser stammt, der seit 1971 nichts mehr mit Omega zu tun hat. Und doch wird auch in der Gegenwart immer wieder vom »Omega-Song Gyöngyhajú lány« gesprochen. Nicht unwesentlich wegen des Charismas Kóbors, der als Ikone der Band Brüche in der Biografie des »ungarischen Nationalensembles« unbedeutend erscheinen ließ.

Omega – die ungarischen Rolling Stones? Klar, eine der allerersten vier Singles von Omega aus dem Jahre 1966 enthielt »Paint it black« von den Stones, aber die anderen Songs waren Cover-Einspielungen von Titeln der Hollies, von Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick & Tich, von Screamin' Jay Hawkins, Sonny Bono, Herman’s Hermits, Bobby Hebb und sogar Gilbert Becaud. Eine besondere Stones-Affinität ließ sich aus diesem Stil-Durcheinander schon damals nicht herauslesen. Und jene ersten Langspielplatten, die den Ruhm Omegas begründeten, hatten mit der Stones-Ästhetik so wenig zu tun wie dunkelsahniger Hirsch- mit würzig-flüssigem Kesselgulasch. Als die Omegas 1970 mit »Éjszakai országút« (Nächtliche Landstraße) einen bis heute viel zu unterbewerteten Meilenstein intelligenter europäischer Rockgeschichte aufnahmen, hatten die Stones eine schöpferische Pause. Ihr Wendepunkt hin zu künstlerischen Höhen, der ein Jahr später mit »Sticky Fingers« kam, stand ihnen noch bevor. Omegas und Stones waren auch damals schon einander stilistisch kaum nahe, aber es gab wenigstens, wenn man so will, mit »Éjszakai országút« einen Etappensieg für die Ungarn. Zu weiteren jedoch sollte es für Kóbor und Co. nicht mehr reichen.

Deutlich hörbar war besonders seit Pressers Weggang 1971, dass Omega-Ikone János Kóbor, anders als Mick Jagger, keinerlei Blues-Wurzeln hatte, nicht zu den Verfechtern des beinharten Bluesrock gehörte und von Anbeginn an eine Vorliebe für Klassik und große Musiktheaterinszenierung pflegte. Jede Verdi-Oper sei ihm musikalisch lieber als ein Schwarzer, der zur Gitarre aus seinem zahnlückenbehafteten Mund die Klage über das Fehlen der Liebsten herausquetscht, erklärte Kóbor einem Journalisten. Weit geschwungene, große, schöne Melodien, ein Markenzeichen von Omega, könnten Ausdruck dieser Neigung sein.

Während die Stones in der zweiten Hälfte der siebziger und der ersten Hälfte der achtziger Jahre mit Platten wie »Some Girls«, »Emotional Rescue«, »Tattoo You« und »Undercover« sehr erfolgreich versuchten, neue Tendenzen aus Punk, Reggae und New Wave in ihre bluesgetränkte Musik einfließen zu lassen, wandte sich Omega dem künstlerisch eher retrospektiv und schwerfällig wirkenden, schwülstigen Space-Rock zu – eine Entwicklung, die sicher auch mit Entscheidungen ihres damaligen deutschen Labels Bellaphon zu tun hatte. »Wir haben die Nase vom Kosmos-Rock voll«, sang schon Anfang der achtziger Jahre Udo Lindenberg – Omega hat das entweder nicht gehört oder nicht verstanden.

Seit »Sticky Fingers« waren die Stones eine Marke, symbolisiert auch durch das rechtlich geschützte Logo der ausgestreckten Zunge. Zur »Marke« gehören natürlich auch die Ikone Mick Jagger und die Gitarren-Riffs Keith Richards’.

Omega dagegen verlor das Böse-Buben-Image ebenso wie das einer »harten« Gitarren-Rockband, mit dem Blues hatten es die Ungarn ohnehin noch nie. Auch nach dem Auslaufen des Bellaphon-Vertrages 1980 blieb es bei einer Nähe zu Keyboard-Bombast und Synthesizer-Rock. 1989 kam der überragende Gitarrist Tamás Szekeres als ständiger Gast in die Band, was jedoch keinen Schwenk der Grundästhetik einläutete. Omega blieb der Inbegriff für eine ungarische Mischung von Symphonic-, Space und Progressiv Rock; die Band ist weit näher an einem rockig eingefärbten Rick Wakeman, an Camel, Hawkwind oder auch Marillion dran als an den Stones.

Doch wer würde einen solchen Vergleich schon gern hören?

Mathias Bäumel