(Francesco Cusa. Foto: Promo/Nanni Angeli)
„Pape Satàn, pape Satàn, aleppe!“ Mit diesen Worten beginnt Plutos den siebenten Gesang im „Inferno“ von Dante Alighieri. Plutos, eine wolfsartige Kreatur, bewacht den vierten Ring der Alighieri’schen Hölle, in dem Geizige und Verschwender heulend Steinlasten wälzen.
„Pape Satàn, pape Satàn, aleppe“ – ebenfalls mit dieser Zeile überschreibt der sizilianische Jazzdrummer und Komponist Francesco Cusa den Begleittext zur CD „Du Démon et d’autres questions“ (1999) seiner Band „66six“. Und der Musiker schreibt weiter über den Kontext dieser Musik: „Vater Satan, Vater Satan. Der Teufel zuerst. Der Teufel, der in unsere dumpfen Existenzen sickert. Schlange stehen, Schlaflosigkeit, drückende Schuhe, Kopfschmerzen, besetzte Toiletten. Aber auch Geschichten über Piraten, verkaufte Seelen, heilige Jungfrauen, grauenhafte Inzeste und dezimierte Familien. In einem Wort: der Alltag. ... All das in Musik übersetzt, durchgeschüttelt, zusammengestellt und als kleinen Hexensabbat serviert. ... Erzählt mir bloß nicht, dass Edgar Allan Poe, Grenouille oder Stanley Kubrick keinen Pakt mit dem Teufel geschlossen hätten. Erzählt mir nicht, Nicole Kidman wäre nicht eine Erscheinungsform des gehörnten Ziegenbocks selbst!“
Die Titel dieser CD sind entweder nach Dämonen aus der christlichen Dämonologie oder nach Personen benannt, in denen sich, folgt man Cusa, Verlockungen und Gefährdungen verkörpern. „Abigor“ heißt die Serenade für Nicole Kidman, „Buzzati’s Capture“ verweist auf die „Inbesitznahme“ des Denkens des einst in Italien bekannten Journalisten, Malers, Zeichners und Bühnenbildners Dino Buzzati durch die katholische Kirche, andere Kompositionen sind Stanley Kubrick, dem Parfüm des Grenouille und Edgar Allan Poe gewidmet. Noch weitere Dämonen werden mit Titeln thematisiert, so Halphas, ein Dämon in Taubengestalt, der Städte anzündet und die Menschen in den Krieg schickt.
„Ach was, lass uns nicht über Dämonen, sondern über die Musik reden“, lacht Francesco Cusa abwehrend und schalkhaft, für den diese Dinge nur ein witziges Spiel sind. Und wenn er sich mit seiner Geisteshaltung als vom provokativ-sarkastischen Humor Frank Zappas beeinflusst erweist, der Nonsens und Sinnhaftigkeit in sich vereint, so spürt man besonders auch im Musikalischen Zappas Flair: Komplexe Rockrhythmen, skurril wirkende Motive und Themen, gebaut aus gewagten Intervallsprüngen und schrägen Tonart-Wechseln, knirschend und rau klingende, dennoch flüssig gespielte Gitarrenlinien und Einspielungen von geheimnisvoll klingenden Telefonstimmen sowie von Technikgeräuschen.
Natürlich sind dies nur Anklänge – Cusas Musik ist eigenwertig, klingt, im Gegensatz zu der Zappas, völlig europäisch. Brillante Bläserimprovisationen spielen nicht nur eine illustrative, sondern eine zentrale Rolle. Vor allem aber die Rhythmik ist bei Cusa, dem Liebling aller Jazztrommel-Freunde, südeuropäisch-faszinierend. Cusas Verschmitztheit, vor allem aber dessen Fähigkeit, das süditalienisch-sizilianische Erz-Musikantentum der großen katholischen Prozessions-„Bandas“ mit modernem Freejazz-Drumming zu verbinden, halten jedermann in Atem. Alles wird bei diesem Irrwisch zu Rhythmus – von Marmeladengläsern bis zu Kellerclubwänden, von Zahnputzbechern bis zu Atemgeräuschen.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich in Cusas Musik eine Kontinuität von Titeln, die in verschiedenen Versionen immer wieder auftauchen. So spielte er bereits 1997 mit seiner Band 66six die Kompositionen „Where’s Stanley Kubrick?“, „Buzzati’s Capture“, aber auch „Psycho Jogging“, „Dr. Akagi“ und „Nonsense“. Alle gehörten sie später zu den Konzertprogrammen der unterschiedlich besetzten „Skrunch“-Bands und waren auf den jeweiligen CDs enthalten.
Auch die 2005-er CD „Psicopatologia del serial Killer“ präsentiert diese Titel in ruppigen, wilden Interpretationen – und endet mit dem Klangstück „Beyond Gods and Devils ... the day before...“(Jenseits von Göttern und Teufeln ... der Tag davor ...), das – die Geduld des Hörers mit lang andauernder Stille überstrapazierend – ein Grauen anzukündigen scheint.
Stattdessen jedoch folgen mit den CDs „A sicilian way of cooking mind“ (2006, Cusas Projekt „Naked Musicians“) und „L'arte della guerra“ (2007, Cusa mit Skrunch) zwei unter eigenem Namen veröffentlichte Werke, die vom Provokant-Symbolischen weg deutlich mehr in eine raffinierte, jazzige Richtung gehen, und die – im Falle der „Nackten Musiker“ – improvisierte Klangflächen ebenso anbieten wie fragmentierte und abstrahierte Prozessions-Banda-Bläsersätze, teils verbunden mit wahnwitzigen Latino-Drum-Passagen; der Titel „A Night in a Caravan“ (eine Kombination aus „A Night in Tunesia“ und „Caravan“) hat einen umwerfenden Charme.
Als nun der Jazzclub Neue Tonne im Laufe des Spätsommers 2009 nach einem Musiker suchte, der für das Jazzwelten-Festival „fragilitas“ 2010 eine spezielle Musik zum Thema „Amoklauf“ konzipieren könnte, war schnell klar: Zuerst soll Francesco Cusa gefragt werden.
Dieses Konzert findet nun statt – am 27. März als Abschluss des 2010-er Jazzwelten-Festivals.
Um all seine Ideen auch veröffentlichen zu können, betreibt Francesco Cusa das CD-Label „Improvvisatore Involontario“. Doch darauf sind nicht nur seine eigenen, sondern auch Werke aus dem Kreis befreundeter Musiker (Cusa manchmal als Sideman) erschienen.
Mathias Bäumel