Dienstag, 7. April 2009

Fado-Erlebnisse im herbstlichen Lissabon - Erinnerungen an Novembertage


Nächtlicher Blick von der Burg über die Stadt und den Tejo, im Hintergrund bläulich angeleuchtet als Pünktchen Cristo Rei, die die Stadt segnende, 28 Meter hohe Christus-Figur vor der Brücke „Ponte 25 de Abril“.

Nacht in Lissabon. Wer dächte da nicht an Fado? An jenen kunstvollen, häufig melancholisch wirkenden Gesang, der nur in Portugals Hauptstadt und – in abgewandelter Form – in der alten Universitätsstadt Coimbra zu finden ist?

Mit der polternden Kult-Elektrischen Nummer 28 geht es von der berühmten Aussichtsterrasse Miradouro Santa Luzia, in den Augenwinkeln der lichterfunkelnde, dunkle Tejo, hinunter durch die geometrisch wirkende Unterstadt bis hinauf zum Largo do Chiado, wo Fernando Pessoa als Bronzefigur vor dem bekannten Café Brasileira sitzt. Einige zig Meter weiter beginnt das Schlendern durch die engen, aber lebhaften Gassen des Viertels Bairro Alto, das voller kleiner Geschäfte, Cafés, Bars und Discos, Tanzschuppen und Fado-Clubs ist. Aufpassen ist angesagt – hier sind viele der Fadokneipen überteuert, und es gibt einen ständigen Kampf des Türpersonals um die Touristen. Gerade außerhalb der Hochsaison schallen die Rufe „Mister! Come in, we have a great and unforgetable Fado program!“ aus allen Türen – vor denen stehenzubleiben, und sei es auch nur, um die Speisekarte zu studieren, ziemlich riskant ist. Wer sich einmal im Innern eines solchen Lokals wiederfindet, darf zwar wirklich professionellen Fado-Gesang („fado profissional“) erwarten, aber nicht selten sind, zumindest außerhalb der Saison, viele Tische verwaist, die Atmosphäre wegen der gähnenden Leere wenig inspirierend. Der Bairrada-Wein im „O canto do Camões“ war gut, das Kalbsschnitzel ebenso, und die Sängerinnen Alzira Canede und Idalia Maria, ganz besonders aber José Luis boten schöne, inbrünstige Fados – aber was nutzte das angesichts der sechs Gäste in einem – wie üblich mit Azulejos prachtvoll gefliesten – Restaurant für achtzig Leute?

Dass in diesem Viertel Anfang November um jeden Gast gekämpft wird, leuchtete uns schnell ein... Aber irgendwie ein Teufelskreis... Weitere, bekanntere Lokale im Bairro Alto wie „Café Luso“, „A Severa“, „Adega Machado“ oder „A faia“ sind offenbar in einer ähnlichen Situation.

Anders wirkt die nächtliche Atmosphäre zwei Tage später in der Alfama. Im „Esquina de Alfama“, einer winzigen, volkstümlich-rustikalen Gaststätte ganz in der Nähe des noch jungen Fado-Museums, wird Fado Vadío geboten, dass heißt, jeder darf singen, der sich dazu berufen fühlt – und die Atmosphäre war göttlich, die Kneipe war krachend voll, die Luft vibrierte. Ein langer, dürrer, blonder Schlaks sang hingebungsvoll, trieb auch uns, die wir den Text nicht verstanden, die Tränen in die Augen, Inhaber und Sänger Lino Ramos, der umtriebige Macher dieses Ladens, stieg mit ein und riss zu Beifallsstürmen hin, die sofort aufbrandeten, kaum dass ein Lied zuende ging. Hinterm Tresen die silberhaarige grande dame des Hauses, Ivone Dias. Ob sie denn heute abend auch noch singe, fragte ich sie. Leider nein, kam zur Antwort, und Ivone lächelte unergründlich und mit niedergeschlagenen Augen, verbeugte sich, leider nein, denn sie sei heiser, und zur Bekräftigung klopfte sie, die Arme über die Brust gekreuzt, elegant mit Zeige- und Mittelfinger auf den Kehlkopf. Sie sei sehr gerührt von meinem Wunsch, ausgerechnet sie singen zu hören, und dafür sei sie mir sehr dankbar. „But because you can’t listen to me singing live tonight I give you this CD – especially for you!“ Und dann signierte Ivone die CD, versah sie mit einer Widmung und überreichte sie mir feierlich. – Nun, gegen Mitternacht, als die Zeit der (Ab)Rechnung nahte, fand ich die CD mit 15 Euro berechnet... Ungläubig las ich diese Summe, denn ich hatte angenommen, es wäre ein Geschenk... Dann schüttelte ich den Kopf und sagte, auch zum eigenen Trost: „Geschickt angestellt hat sie es ja...“

Erneut verblüfft war ich wenige Tage später, als ich daheim die Lissabon-Reise mit einem Merian-Führer nachbereitete. Dort las ich in dem Beitrag „Die Sucht nach der Sehnsucht“ über einen Besuch des Fado-Lokals „Fermentação“, ein Lokal, auf dessen Vorplatz Fado auch für die vor der Türe an kleinen Tischen sitzenden Gästen geboten wird, folgendes:
„Ana hatte während der Darbietung heftig mit meiner Begleiterin geflirtet. Nach ihrem Auftritt erkundigte sie sich nach ihrem Namen, schreibt eine Widmung auf eine CD und überreichte sie als Geschenk. Als wir die Rechnung begleichen, ist das Geschenk mit 30 Euro ausgewiesen – umsonst ist auch der schönste Fado nicht.“

Da bin ich ja noch billig weggekommen, dachte ich mir. Und, unsere Lissabon-Eindrücke noch im Hinterkopf: Wie muss es wohl gegenwärtig um den Fado bestellt sein?


Der portugiesisch-englischsprachige Fado-Führer Lissabons, „Roteiro de fado de Lisboa“ („Lisbon fado’s guide“ – Ausgabe November 2001, erhältlich im Fado-Museum auf dem Largo do Chafariz de Dentro), listet 50 Fado-Lokale auf, die meisten in den Stadtvierteln Bairro Alto und Alfama, aber auch in der Mouraria und in Madragoa sowie in weiteren Vierteln. Das Museum heißt offiziell „Casa do Fado e da Guitarra Portuguesa" (Haus des Fado und der portugiesischen Gitarre).