Mit einem abgebrochenen Konzert zum Mauerfall am 9. November 1989 begann die künstlerische Laufbahn von Günter Heinz als Ensemblechef
9. November 1989. Ein kleines Jazzfestival in Berlin, im Filmtheater »Babylon«, nur wenige hundert Meter von der Berliner Mauer entfernt. Günter Heinz hat sein erstes Jazzkonzert mit einer eigenen, von ihm selbst geleiteten Band (»Günter Heinz Quartett«) .
»In jener Nacht trafen sich Vorgesehenes und Unvorhersehbares, persönlicher Erfolg und Geschehen von Weltgeschichte«, erinnert sich Günter Heinz. »Während die Musiker vertrackte melodische und harmonische Wendungen erfanden, die Zuhörer staunten, doch nebenher, manche auch hauptsächlich, den neuesten Meldungen aus mitgebrachten Kofferradios lauschten«, so Heinz, »geschah, was viele gehofft und nur wenige geahnt hatten: die Mauer fiel!« Heinz weiter: »Nach dem Konzert – eigentlich stand noch der amerikanische Pianist Walter Norris auf dem Programm – leerte sich der Saal des Filmtheaters Babylon in wenigen Augenblicken, auf der Bühne spielte noch ein einsames, verlassenes Radio.« Auf diese Weise erfahren Heinz und seine Mitmusiker, was geschehen war. »Doch die Instrumente konnten wir nicht allein lassen. Erst spät nachts, noch nicht begreifend, kam ich nach Hause. Aber es war beeindruckend: Die gesamte Stadt war hell und voller Leben.« Dieses besondere, einen historischen Wendepunkt akustisch markierende Konzert hat Rigobert Dittmann 2002 in einer dem Bad Alchemy-Magazin 40/2002 beiliegenden Single in Ausschnitten dokumentiert; die Aufnahmen verdeutlichen eindrucksvoll die Spannung jenes Moments.
Erst etwa einen Monat zuvor – am 8. Oktober 1989 – hatte Heinz, der in Berlin aktiv an den Vorbereitungen der Großdemonstration für eine Demokratisierung der DDR (4. November 19989 auf dem Alexanderplatz) beteiligt war, seinen ersten Auftritt in Dresden gehabt; er trat in der »Tonne« im Ensemble von Hannes Zerbe beim Konzert »Spielauffassungen im Vergleich« auf und war dadurch ganz unmittelbar von den Demonstrationen in Dresden betroffen, denn viele Musikfreunde kämpften sich zu Fuß von Hauptbahnhof und Prager Straße kommend in den Kellerklub, andere schafften es nicht, bis dahin durchzudringen.
Seither ist Günter Heinz, dessen Karriere als freiberuflicher Musiker bereits 1987 begann, nachdem er zuvor als promovierter Mathematiker an verschiedenen Universitäten tätig war und improvisierte Musik »nebenher« spielte, als Improvisationskünstler, Komponist und Ensemble-Leiter in ganz Europa und sogar den USA unterwegs; seinen Lebensmittelpunkt verlegte er Schritt für Schritt nach Dresden und in ein kleines Dorf bei Freiberg.
Obwohl er in all den Jahren immer wieder zu seinen Instrumenten Posaune, Flöte und Zurna, einem arabischen Holzblasinstrument mit Doppelrohrblatt, und damit zu »lungengemachter« Musik zurückkehrte, spielte der Einsatz von moderner Elektronik für Heinz zunehmend eine größere Rolle. Damit gehört Günter Heinz zu den nicht allzu vielen Improvisationsmusikern, deren Kunst von einer Balance zwischen akustisch erzeugter und digitaler Musik geprägt ist.
1992 bekam Günter Heinz ein Stipendium für einen einjährigen Aufenthalt im Elektronischen Studio Basel. Der dortige Studioleiter Thomas Kessler hatte Heinz 1991 bei einem Konzert in Luzern gehört und fand dessen Posaunenklang »fast schon elektronisch«. Von Basel aus entstanden viele Kontakte und Auftritte, in Moskau, Florida, Malta und Sardinien, ja sogar – einen Kreis schließend – bei einem Schweizer Konzert in der Akademie der Künste in Berlin.
Es folgten Projekte mit Gunnar Kristinsson (Icelandic Sound Company) und Arthur Clay, die Günter Heinz ebenfalls in Basel kennengelernt hatte, z.B. in den Alpen beim Schweizer Tonkünstlerfest, in Victoria BC und aktuell ein Projekt beim Festival Virtuelle Switzerland. Auch gemeinsame Auftritte und CD-Aufnahmen mit dem European Powerbook Ensemble, ein Duo, das das italienische System M.A.R.S. (Musical Acoustic Research System) nutzt, um Klangtransformationen in Echtzeit zu realisieren, ließen die »Kenner« mit der Zunge schnalzen.
Es gab viele CDs, Konzerte und Performances mit weiteren Musikern, Tänzerinnen und Videokünstlern sowohl in Klubs, Galerien als auch in Kirchen, große Projekte wie das 2007 im Festspielhaus Hellerau aufgeführte multimediale Wittgenstein-Projekt sowie »Digging the Mine« 150 Meter unter der Erde im Freiberger Silberbergwerk, aber auch die Kooperation mit den Pionieren der audiovisuellen Elektronikkunst, Eric und Mary Ross aus den USA. Es folgten aber auch Lehraufträge in Malta, wo er der deutsche Vertreter beim 1. Computermusik-Festival war, und in Sardinien.
Dass er hier in Dresden seit vielen Jahren als künstlerischer Leiter des Festivals Frei Improvisierte Musik tätig ist, sollte nicht vergessen werden.
Nun, etwa ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall, spielte Günter Heinz gemeinsam mit dem Erlanger Pianisten und Organisten Klaus Treuheit zwei Konzerte »Against the Walls« in Freiberg und in Dresden, ein drittes unter diesem Motto am 7. November 2014 (19.30 Uhr) mit Veryan Weston (Piano) und Roger Turner (Schlagzeug) in der Citykirche Wuppertal. »Hier spiele ich erstmals außerhalb meines Wohnortes auch ganz offiziell an einer Kirchenorgel«, freut sich der Künstler.
Exakt zum Jubiläum des Mauerfalls , am 9. November (19 Uhr), gibt es in der Region das nächste Günter-Heinz-Konzert – in der Dorfkirche Kleinwaltersdorf bei Freiberg., diesmal im Duo mit dem Cellisten Adam Webster (Liverpool/ Breslau). Eintritt: 8 (ermäßigt 5) Euro.
Mathias Bäumel
(Foto oben: Hans-Joachim Maquet)
Samstag, 8. November 2014
Donnerstag, 27. Februar 2014
Mathias Bäumels Buch »Velemir Dugina – Eine Spurensuche« auf der Leipziger Buchmesse 2014
Die für ihre exzellente buchgestalterisch-grafische Qualität bekannte Edition Zwiefach Berlin präsentiert zur Leipziger Buchmesse 2014 auch einige edel designte Bücher aus dem kleinen Dresdner Verlag SchumacherGebler, darunter auch Mathias Bäumels »Velemir Dugina – Eine Spurensuche«. Die Edition Zwiefach, ein Unternehmen des berühmten Buchgestalters und Kalligrafen Heinz Hellmis und der Künstlerin Linde Kauert, ist auf der Buchmesse direkt neben dem Stand der ARD in Halle 3, Stand D 504, zu finden.
Zum Inhalt:
Ein einzelner Grabstein auf einem unscheinbaren, winzigen Friedhof auf der Adriainsel Cres wurde zum Ausgangspunkt einer Spurensuche. Wer war dieser »Professor Violine«, wie der auf dem Stein mit einem vergilbten Foto in Erinnerung gehaltene junge Mann genannt wurde? Der in Australien geborene und in Rijeka und Triest aufgewachsene Musiker Velemir Dugina setzte Anfang 1987 seinem Leben 29-jährig ein Ende. Der Autor dieses Büchleins versucht, mit Hilfe nur weniger Anhaltspunkte und Informationen das kurze Leben des Violinisten und Komponisten wenigstens in groben Umrissen zu rekonstruieren. Herausgekommen ist nicht nur eine fragmentarische biografische Skizze eines Musikers, der sich wie die allermeisten seines Faches jenseits des Star-Zirkusses hingebungsvoll seinem künstlerischen Beruf widmete, ohne je berühmt zu werden. Entstanden ist durch die Nachzeichnung dieses Schicksals auch ein angedeutetes Bild des kulturellen und historischen Reichtums einer Region, die sich von Friaul Julisch-Venetien über Triest bis hinein in den Kvarner Golf und darüber hinaus erstreckt.
Das Echo:
Der Titel erzeugte bisher ein ansehnliches Echo. Rezensionen erschienen in der »neuen musik zeitung«, in den Dresdner Neuesten Nachrichten, im Internetportal »Musik in Dresden«, in der angesehenen Triestiner Zeitung »Il Piccolo«, in der Beilage »Istra Plus« der Zeitung »Glas Istre«, die im istrischen Pula herausgegeben wird, sowie eine kleine Annotation im Dresdner Stadtmagazin SAX.
Besprochen wird das Buch im Weblog Ramble Tamble des Triestiner Journalisten Carlo Muscatello.
Erwähnt wird das Buch nochmals im selben Weblog anlässlich einer Fotoausstellung zu Dugina mit Fotos von Magrit Dittmann-Soldicic.
Das Internetportal STIPvisiten lobt nicht nur das Büchlein an sich, sondern vor allem auch Haptik und Buchgestaltung.
Zum Autor:
Mathias Bäumel schreibt seit den 1980er-Jahren Beiträge über Jazz, Rock und die Verbindung von Musik zu anderen Künsten für Tageszeitungen, Jazzmagazine, CD-Cover und Bücher.
Zur Buchgestalterin:
Kerstin Hübsch ist studierte Diplomdesignerin. Sie arbeitet auf den Gebieten der Werbegrafik und des Corporate Design sowie des Ausstellungsdesigns, in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Buchgestaltung. Neue Wege ging sie beim grafischen Entwurf von Geschäftsberichten für große Unternehmen. Hier arbeitete sie mit Künstlern wie Wolff-Ulrich Weder, Frank Voigt, Inge Thiess-Böttner, Claus Weidensdorfer und Hernando León zusammen und schuf auf diese Weise künstlerisch hochwertige und typografisch liebevoll gestaltete Produkte.
Mathias Bäumel: »Velemir Dugina – Eine Spurensuche«, Verlag SchumacherGebler Dresden 2013, ISBN: 978-3-941209-27-5
12,95 Euro
Das Buch ist im Dresdner Buchhandel sowie im Dresdner Jazzclub Tonne zu beziehen bzw. überall bestellbar.
Seiner Thematik wegen ist das Buch zweisprachig – deutsch und italienisch – geschrieben und deswegen auch in verschiedenen Buchläden in Triest (vor allem Libreria »In der Tat« Triest) im Angebot.
M. B.
Zum Inhalt:
Ein einzelner Grabstein auf einem unscheinbaren, winzigen Friedhof auf der Adriainsel Cres wurde zum Ausgangspunkt einer Spurensuche. Wer war dieser »Professor Violine«, wie der auf dem Stein mit einem vergilbten Foto in Erinnerung gehaltene junge Mann genannt wurde? Der in Australien geborene und in Rijeka und Triest aufgewachsene Musiker Velemir Dugina setzte Anfang 1987 seinem Leben 29-jährig ein Ende. Der Autor dieses Büchleins versucht, mit Hilfe nur weniger Anhaltspunkte und Informationen das kurze Leben des Violinisten und Komponisten wenigstens in groben Umrissen zu rekonstruieren. Herausgekommen ist nicht nur eine fragmentarische biografische Skizze eines Musikers, der sich wie die allermeisten seines Faches jenseits des Star-Zirkusses hingebungsvoll seinem künstlerischen Beruf widmete, ohne je berühmt zu werden. Entstanden ist durch die Nachzeichnung dieses Schicksals auch ein angedeutetes Bild des kulturellen und historischen Reichtums einer Region, die sich von Friaul Julisch-Venetien über Triest bis hinein in den Kvarner Golf und darüber hinaus erstreckt.
Das Echo:
Der Titel erzeugte bisher ein ansehnliches Echo. Rezensionen erschienen in der »neuen musik zeitung«, in den Dresdner Neuesten Nachrichten, im Internetportal »Musik in Dresden«, in der angesehenen Triestiner Zeitung »Il Piccolo«, in der Beilage »Istra Plus« der Zeitung »Glas Istre«, die im istrischen Pula herausgegeben wird, sowie eine kleine Annotation im Dresdner Stadtmagazin SAX.
Besprochen wird das Buch im Weblog Ramble Tamble des Triestiner Journalisten Carlo Muscatello.
Erwähnt wird das Buch nochmals im selben Weblog anlässlich einer Fotoausstellung zu Dugina mit Fotos von Magrit Dittmann-Soldicic.
Das Internetportal STIPvisiten lobt nicht nur das Büchlein an sich, sondern vor allem auch Haptik und Buchgestaltung.
Zum Autor:
Mathias Bäumel schreibt seit den 1980er-Jahren Beiträge über Jazz, Rock und die Verbindung von Musik zu anderen Künsten für Tageszeitungen, Jazzmagazine, CD-Cover und Bücher.
Zur Buchgestalterin:
Kerstin Hübsch ist studierte Diplomdesignerin. Sie arbeitet auf den Gebieten der Werbegrafik und des Corporate Design sowie des Ausstellungsdesigns, in den letzten Jahren vor allem im Bereich der Buchgestaltung. Neue Wege ging sie beim grafischen Entwurf von Geschäftsberichten für große Unternehmen. Hier arbeitete sie mit Künstlern wie Wolff-Ulrich Weder, Frank Voigt, Inge Thiess-Böttner, Claus Weidensdorfer und Hernando León zusammen und schuf auf diese Weise künstlerisch hochwertige und typografisch liebevoll gestaltete Produkte.
Mathias Bäumel: »Velemir Dugina – Eine Spurensuche«, Verlag SchumacherGebler Dresden 2013, ISBN: 978-3-941209-27-5
12,95 Euro
Das Buch ist im Dresdner Buchhandel sowie im Dresdner Jazzclub Tonne zu beziehen bzw. überall bestellbar.
Seiner Thematik wegen ist das Buch zweisprachig – deutsch und italienisch – geschrieben und deswegen auch in verschiedenen Buchläden in Triest (vor allem Libreria »In der Tat« Triest) im Angebot.
M. B.
Freitag, 8. November 2013
Wie war das mit Konzerten Charles Gayles in Dresden und Umgebung?
In den Dresdner Neuesten Nachrichten vom 2./3. November 2013 hat Wolfgang Zimmermann eine Rezension zum Konzert von Charles Gayle am 31. Oktober 2013 in der »Tonne« veröffentlicht. Dort ist die Behauptung enthalten, dass Charles Gayle und Peter Kowald »in den 1960-er Jahren noch in der alten ›Tonne‹ im Kurländer Palais« ein Konzert gegeben hätten. Das jedoch ist falsch.
Der Autor Wolfgang Zimmermann ist diesbezüglich den trügerischen, vermeintlich authentischen Erinnerungen eines in die Jahre gekommenen Mannes aufgesessen. Die IG Jazz innerhalb der Kulturbund-Stadtorganisation von Dresden – der spätere Jazzclub Tonne – wurde am 18. März 1977 gegründet. Allein schon deswegen stimmt diese Behauptung nicht. Am 13. März 1981 weihten die IG-Mitglieder mit einer Menge Musiker die in vielen Aufbaustunden rekonstruierten Kellergewölbe unter der Ruine des Kurländer Palais ein. Erst ab diesem Zeitpunkt fanden in der sogenannten »Tonne« Konzerte statt – nicht früher. Vor dem März 1981 veranstaltete die IG Jazz (später »Tonne« genannt) Konzerte bekanntlich in verschiedenen gemieteten Räumen – in Hörsälen, im Rundkino, in der Spirale.
Das erste Konzert Charles Gayles in Dresden und in der »Tonne« fand am 5. November 1995 statt. Danach konzertierte er nochmals am 3. November 2002 und nun am 31. Oktober 2013 in der »Tonne«.
Woran sich Zimmermann zufolge Charles Gayle zu erinnern glaubt, ist sicher ein für das Publikum überraschender Auftritt zu den Jazztagen in Leipzig im Jahre 1984 – vermutungsweise der erste Auftritt Gayles in Deutschland und Europa überhaupt. Der Bassist Peter Kowald und A. R. Penck hatten Gayle damals in den Straßen von New York entdeckt und zunächst zur Teilnahme am Sound Unity Festival in New York eingeladen (Film von Ebba Jahn »Rising Tones Cross«). Kowald nahm dann Charles Gayle mit nach Europa, wo er als Überraschungsgast in Leipzig die Zuhörer begeisterte.
Insbesondere die spätabendliche Jam Session in der Moritzbastei – aus der Erinnerung Jahrzehnte später von der Anmutung durchaus der »Tonne« ähnlich – gemeinsam mit Peter Kowald und weiteren Spitzenmusikern des westdeutschen und des DDR-Freejazz brachte das Publikum »zum Kochen«. Matthias Creutziger, dem ich diesen Hinweis zu verdanken habe, erwähnte diesen Gayle-Auftritt in einem Artikel in der damaligen Tageszeitung UNION.
Noch vor seinem ersten »Tonne«-Konzert spielte Charles Gayle im Trio mit dem Bassisten Christoph Winckel und dem Drummer Willy Kellers am 3. November 1995 in der Kuppelhalle Tharandt (Dank an Thomas Morgenroth) sowie danach noch am 6. November 1995 in Freiberg im Duo gemeinsam mit dem Bassisten Christoph Winckel.
Auch nach Freiberg kam er später noch einmal wieder: am 21. April 2007 zu den Freiberger Jazztagen (17 Uhr solo-p im dortigen Stadt- und Bergbaumuseum, im Trio mit Hilliard Greene und Klaus Kugel abends im Mittelsächsischen Theater).
Mathias Bäumel
(Foto oben: Jazzclub Tonne / Jürgen Lösel)
Der Autor Wolfgang Zimmermann ist diesbezüglich den trügerischen, vermeintlich authentischen Erinnerungen eines in die Jahre gekommenen Mannes aufgesessen. Die IG Jazz innerhalb der Kulturbund-Stadtorganisation von Dresden – der spätere Jazzclub Tonne – wurde am 18. März 1977 gegründet. Allein schon deswegen stimmt diese Behauptung nicht. Am 13. März 1981 weihten die IG-Mitglieder mit einer Menge Musiker die in vielen Aufbaustunden rekonstruierten Kellergewölbe unter der Ruine des Kurländer Palais ein. Erst ab diesem Zeitpunkt fanden in der sogenannten »Tonne« Konzerte statt – nicht früher. Vor dem März 1981 veranstaltete die IG Jazz (später »Tonne« genannt) Konzerte bekanntlich in verschiedenen gemieteten Räumen – in Hörsälen, im Rundkino, in der Spirale.
Das erste Konzert Charles Gayles in Dresden und in der »Tonne« fand am 5. November 1995 statt. Danach konzertierte er nochmals am 3. November 2002 und nun am 31. Oktober 2013 in der »Tonne«.
Woran sich Zimmermann zufolge Charles Gayle zu erinnern glaubt, ist sicher ein für das Publikum überraschender Auftritt zu den Jazztagen in Leipzig im Jahre 1984 – vermutungsweise der erste Auftritt Gayles in Deutschland und Europa überhaupt. Der Bassist Peter Kowald und A. R. Penck hatten Gayle damals in den Straßen von New York entdeckt und zunächst zur Teilnahme am Sound Unity Festival in New York eingeladen (Film von Ebba Jahn »Rising Tones Cross«). Kowald nahm dann Charles Gayle mit nach Europa, wo er als Überraschungsgast in Leipzig die Zuhörer begeisterte.
Insbesondere die spätabendliche Jam Session in der Moritzbastei – aus der Erinnerung Jahrzehnte später von der Anmutung durchaus der »Tonne« ähnlich – gemeinsam mit Peter Kowald und weiteren Spitzenmusikern des westdeutschen und des DDR-Freejazz brachte das Publikum »zum Kochen«. Matthias Creutziger, dem ich diesen Hinweis zu verdanken habe, erwähnte diesen Gayle-Auftritt in einem Artikel in der damaligen Tageszeitung UNION.
Noch vor seinem ersten »Tonne«-Konzert spielte Charles Gayle im Trio mit dem Bassisten Christoph Winckel und dem Drummer Willy Kellers am 3. November 1995 in der Kuppelhalle Tharandt (Dank an Thomas Morgenroth) sowie danach noch am 6. November 1995 in Freiberg im Duo gemeinsam mit dem Bassisten Christoph Winckel.
Auch nach Freiberg kam er später noch einmal wieder: am 21. April 2007 zu den Freiberger Jazztagen (17 Uhr solo-p im dortigen Stadt- und Bergbaumuseum, im Trio mit Hilliard Greene und Klaus Kugel abends im Mittelsächsischen Theater).
Mathias Bäumel
(Foto oben: Jazzclub Tonne / Jürgen Lösel)
Montag, 26. August 2013
Baby Sommers Œuvre als Thema eines »raumtheoretischen« Mammutwerkes
Raumbezogene Analyse von Musik: Der Musiker Oliver Schwerdt macht Baby Sommers Œuvre zum Thema eines »raumtheoretischen« Mammutwerkes
Was nutzt eine wissenschaftliche Arbeit, wenn ihr Verfasser alles dafür tut, zwar nicht ihre Veröffentlichung, aber doch ihre Rezeption zu verhindern oder wenigstens so weit wie möglich zu erschweren? Was nutzt sie, wenn der Autor zahlreiche Hindernisse für das Verständnis seiner Überlegungen errichtet, so mit einer teils kryptischen Sprachlichkeit (die vorangegangene Magisterarbeit des Autors war an Georg Simmel orientiert), mit einer jedes Maß sprengenden Textmenge (die vielerorts zur Verweigerung der Annahme der Arbeit führen würde) und mit einer dem Wesen des Gegenstandes völlig widersprechenden Publikationskultur?
Der Leipziger Musiker Oliver Schwerdt hat eine überbordende Doktorarbeit geschrieben, die thematisch eng auf das Werk des Schlagzeugers und Jazzmusikers Günther Baby Sommer bezogen und die ausdrücklich dessen siebzigsten Geburtstag am 25. August 2013 gewidmet ist. Die originale Langfassung unter dem Titel »Baby Sommer XXL. Wie der Schlagzeuger mit dem Free Jazz den Raum bestellt« wurde im Herbst 2012 in sage und schreibe fünf Bänden mit insgesamt 2158 Seiten plus einer 50 Giga-Byte großen externen Festplatte mit 3000 Dateien veröffentlicht. Preis zusammen: 705 Euro. Das erschlägt einen!
Die Bände sind überschrieben mit »Navigation«, »Philosophie«, »Diskografie«, »Instrumentografie« und »Observation«. Allein die 801 Seiten umfassende und 149 Euro teure Diskografie entfaltet ein opulent ausdifferenziertes System von Registern, Indizes und erklärungsbedürftigen Abkürzungen – alles nur, um die Vielzahl der veröffentlichten Aufnahmen Baby Sommers systematisiert »abzubilden«. Aber: Jazz und freie Improvisationsmusik sind offene, dynamische, freigeistige, demokratische Musiksubkulturen – Untersuchungen und Dokumentationen zu ihnen gehören als Datenbank – für jedermann problemlos nutz-, also recherchierbar – ins Internet, nicht zwischen die Deckel eines von für den einzelnen Interessenten nicht erschwinglichen sowie digital nicht recherchier- und aktualisierbaren Papiermonsters.
Aus der Fußnote 2 der Diskografie – nur als Beispiel – gehen sowohl Schwerdts »wissenschaftliches« Verständnis als auch die Schwierigkeit, mit der mäandernden Darstellungsweise des Autors produktiv umzugehen, hervor. Er erläutert dort: »Dabei umfasst der Katalog bei 96 verschiedenen Aufnahmeterminen oder Einheiten von Aufnahmeterminen, also Hauptnummern, 127 verschiedene veröffentlichte Audio-Datenträger also Ausgaben – im Falle von 31 verschiedene Aufnahmeterminen oder Einheiten von Aufnahmeterminen gibt es 61 differierende Ausgaben –, welche dort als 138 Formulare für 138 Unternummern, dargestellt werden. Diese Differenz von 11 resultiert aus einer Versiebenfachung, einer Verdreifachung und drei Verdoppelungen jener 5 von 127 unterschiedlichen veröffentlichten Audio-Datenträgern, die mehrere erste Ausgaben oder Teile derselben zusammen veröffentlichen. Folgende 16 SOSGVVADT-Nummern kennzeichnen die selben veröffentlichten Audio-Datenträger: 0093=0102=0152=0192=0232=0272=0452, 0153=0162=0233, 0193=0222, 0262=0382, 0282=0312, diese 16 im Detail differierenden Formulare dokumentieren die 5 selben veröffentlichten Audio-Datenträger. Die Anzahl aller Objekte als Exemplare vervielfältigt veröffentlichter Audio-Datenträger, im engsten Sinne, ist ohne die Kenntnis der Auflagenhöhen aller veröffentlichter Audio-Datenträger im weiteren Sinne nicht ermittelbar.« Noch Fragen?
An anderer Stelle beschreibt Schwerdt, wie er die Diskografie erstellt hat – hier nur ein kleiner Ausschnitt: »Die Darstellung der Daten zu jedem einzelnen durch Günter Sommer aktiviertes Musik-Instrumentarium und die damit von ihm realisierten Spielweisen bis in meine Forschungsprojektdauer hinein hörbar dokumentierenden veröffentlichten Audio-Datenträger erfolgte auf der Grundlage der Erhebung der Daten und deren die Darstellung vorbereitenden Auswertung durch Ausführung des Katalogisierungsschemas des Formulars.«
Nach einem solch opulenten, 26-seitigem Anlaufnehmen beginnt schließlich die Übersicht der »veröffentlichten Audio-Datenträger« auf Seite 27 der Diskografie, deren detaillierte Beschreibung, bei der schier jede einzelne Angabe ausführlich und formal quellenzitiert wird, auf Seite 35. Ob hier die Affinität des Musikers Schwerdt zu Dada und damit auch die Suche von Sinn im Unsinn anklingt oder sich im Sinne von Hans Arp die Opposition gegen die »vorgeschriebene Form des deutschen Schulaufsatzes« manifestiert, muss dahingestellt bleiben.
Im Grunde genommen scheint es Schwerdt nicht vordergründig um eine in den üblichen Relationen von Biografie, Werk und Rezeption befangene Analyse von Sommers Werk zu gehen, sondern um einen Beitrag für ein Forschungsfeld, das er »raumtheoretische Deutung von Musik« nennt; Baby Sommer dient dem Verfasser lediglich als gut geeignet scheinendes, hier »durchexerziertes« Beispiel. Den wissenschaftlichen Wert der Fragestellung und der Ausführung dieser Arbeit vermag ich als Musikjournalist nicht zu beurteilen. Wer sich als Musikfreund für das Werk Baby Sommers interessiert, egal ob als Konzertbesucher, Platten- und CD-Sammler oder Jazzhistoriker, ist bei diesem Werk kaum an der richtigen Adresse.
Eine auf 52 Seiten sehr komprimierte Fassung der Arbeit Oliver Schwerdts gibt es unter dem Titel »Von einem, der auszog, seinem Schlagzeug das Fahren und Schweben zu lehren. Was aus raumtheoretischer Sicht dafür spricht, Günter Baby Sommer als Helden des Free Jazz zu ehren« für 14,99 Euro über www.euphorium.de .
Mathias Bäumel
Bild oben: PR/Website Euphorium, abgerufen 26.8.2013
Dies ist die ungekürzte Version eines Textes, der am 24. August 2013 in den Dresdner Neuesten Nachrichten erschien.
Sonntag, 26. Mai 2013
»Tonne« mit guter Spürnase: »Live Act 2013« Rusconi konzertierte bereits 2007 in Dresden
Der Dresdner Jazzclub Tonne hat es schon vor längerer Zeit gewusst – das Schweizer Trio »Rusconi« ist eine Top-Formation! Bereits vor über sechs Jahren buchte die »Tonne« die drei für ein Konzert am 3. Februar 2007 – heutzutage wird diese Entscheidung hochoffiziell bekräftigt: Am 23. Mai 2013 erhielt Rusconi den renommierten ECHO JAZZ 2013 in der Kategorie LIVE ACT DES JAHRES; nominiert waren auch Wayne Shorter, Enrico Rava und Rudresh Mahanthappa.
Das zeigt wieder einmal: Die »Tonne« hat eine gute Spürnase! Und es verdeutlicht: Wer als Jazzfan regelmäßig die »Tonne« besucht, weiß, wo und wie im internationalen zeitgenössischen Jazz die Musik spielt!
M. B.
Das zeigt wieder einmal: Die »Tonne« hat eine gute Spürnase! Und es verdeutlicht: Wer als Jazzfan regelmäßig die »Tonne« besucht, weiß, wo und wie im internationalen zeitgenössischen Jazz die Musik spielt!
M. B.
Dienstag, 16. April 2013
Musikalisch zeitgemäße Vorjubiläumsklänge zu den 39. Freiberger Jazztagen

Das Jubiläum lässt noch ein Jahr auf sich warten, doch auch die vom 17. bis 22. April 2013 stattfindenden 39. Freiberger Jazztage bieten ein prallgefülltes, hochkarätiges Programm. Das Besondere an diesem kleinen, standhaften Festival: Es ist nach eigenen Angaben das einzige in Deutschland, das Teil eines universitären Lebens ist. Die Freiberger Jazztage werden künstlerisch von der IG Jazz und ihren Aktivisten Gert Schmidt und Eugen Tauzold (beides Mitarbeiter an der TU Bergakademie Freiberg) gestaltet und durchgeführt sowie juristisch-wirtschaftlich vom Freiberger Studentenwerk veranstaltet.
Insgesamt neun Konzerte mit elf Gruppen bzw. Solisten finden diesmal statt. Mit dabei sind wieder Angebote für Kinder, der Jazz-Brunch, eine Jazzfilmveranstaltung und auch das traditionelle Klassik-Jazz-Crossover, diesmal am 18. April unter dem Motto »Telemann meets Jazz« mit Sängerin Cristin Claas. Diese Produktion mit der Mittelsächsischen Philharmonie unter Leitung des Dirigenten Jan Michael Horstmann wird mit Konzerten im Theater Döbeln und der Bürkelhalle Mittweida am 19. und 20. April »nachgenutzt«.
Höhepunkte werden sicher die beiden Doppelkonzerte im Mittelsächsischen Theater am 19. April (mit dem Nils-Wogram-Trio Nostalgia und dem Eislerprojekt des Hannes Zerbe Jazz Orchesters) und am 20. April (Wanja Slavin Lotus Eaters und dem Sun-Ra-Tribute der Heliocentric Counterblast).
Doch auch schon das Eröffnungskonzert am 17. April 2013 mit Vesna Pisarovic with Suspicious Minds ist vielversprechend. Die ehemalige bosnisch-kroatische Popsängerin wagt hier mit eher im Freejazz beheimateten Musikern eine gekonnte, witzige und beeindruckende Tour durch die Welt der Songs aus dem Elvis-Presley-Repertoire.
Übrigens: Seit vielen Jahren begleitet das Jazzteufelchen von Holger Koch, einem Künstler aus Freiberg, die Freiberger Jazztage als Maskottchen, Ikone oder Signet – ein »Markenzeichen« der besonderen Art.
Das Programm der 39. Freiberger Jazztage 2013 befindet sich hier.
Mathias Bäumel
Donnerstag, 11. Oktober 2012
Und sie spielten doch! Fermáta gab bereits 1976 im Physik-Hörsaal der TU Dresden ein Konzert
(Fermáta am 29. Oktober 1976 im Physik-Hörsaal der TU Dresden – hier (v. l. n. r.) Drummer Cyril Zeleňák, Bassist Anton Jaro und Keyboarder Tomáš Berka, versteckt rechts. Fotos (2): Joachim »Joe« Schönberg)
(Gitarrist František Griglák beim selben Konzert)
Mit Bezug auf die Veröffentlichung zur slowakischen Gruppe Fermáta auf Jazz + Sonstiges (8. Januar 2009) teilte uns Joachim »Joe« Schönberg, beruflich heute Server-Administrator in einer Berliner Einrichtung, folgendes mit:
»Es stimmt nicht, dass Fermáta keine Konzerte in der DDR geben konnte. Am 29. Oktober 1976 – ich hatte gerade das Studium an der TU Dresden begonnen – gab es ein Fermáta-Konzert im Physik-Hörsaal des Willers-Baus. Von dem Konzert war ich (der ich Fermáta bereits von einer LP her kannte) sehr begeistert, was später zu weiteren Plattenkäufen führte. Ich habe dort auch fotografiert.«
Schönbergs Erinnerungen konnten schnell erhärtet werden. In der »Universitätszeitung« der TU Dresden (Ausgabe 18/1976, Seite 6) war das Konzert im Veranstaltungsplan des Zentralen FDJ-Studentenclubs für Oktober als »Konzert im Hörsaal mit der slowakischen Gruppe Fermáta, Klassik-Adaptionen im Stile Collegium Musicums – Erstmalig in der DDR!« angekündigt worden. Eine Art Rezension oder Rückblick allerdings gab es danach nicht.
Mathias Bäumel
(Gitarrist František Griglák beim selben Konzert)
Mit Bezug auf die Veröffentlichung zur slowakischen Gruppe Fermáta auf Jazz + Sonstiges (8. Januar 2009) teilte uns Joachim »Joe« Schönberg, beruflich heute Server-Administrator in einer Berliner Einrichtung, folgendes mit:
»Es stimmt nicht, dass Fermáta keine Konzerte in der DDR geben konnte. Am 29. Oktober 1976 – ich hatte gerade das Studium an der TU Dresden begonnen – gab es ein Fermáta-Konzert im Physik-Hörsaal des Willers-Baus. Von dem Konzert war ich (der ich Fermáta bereits von einer LP her kannte) sehr begeistert, was später zu weiteren Plattenkäufen führte. Ich habe dort auch fotografiert.«
Schönbergs Erinnerungen konnten schnell erhärtet werden. In der »Universitätszeitung« der TU Dresden (Ausgabe 18/1976, Seite 6) war das Konzert im Veranstaltungsplan des Zentralen FDJ-Studentenclubs für Oktober als »Konzert im Hörsaal mit der slowakischen Gruppe Fermáta, Klassik-Adaptionen im Stile Collegium Musicums – Erstmalig in der DDR!« angekündigt worden. Eine Art Rezension oder Rückblick allerdings gab es danach nicht.
Mathias Bäumel
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