Mittwoch, 7. Oktober 2009

Vor zehn Jahren, am 6. Oktober 1999, starb die große Amália Rodrigues, die Königin des Fado


Amália Rodrigues (Foto: Teia da Língua Portuguesa)

Rückblende: 1989 feierte die berühmte Amália Rodrigues unter der Anteilnahme des gesamten portugiesischen Volkes ihre 50jährige Bühnenpräsenz. Große Künstler wie Federico Fellini, Mário Vargas Llosa und Sophia Loren gratulierten ihr dazu, anlässlich des Jubiläums wurde in Portugal damals eine großzügig ausgestattete 8-er-CD-Box herausgebracht. Nach ihren letzten grandiosen Konzerten in New York und in Lissabon 1990 hatte sie bis zu ihrem Tod noch weitere vereinzelte, stets umjubelte Auftritte.

Amália, wie sie überall liebevoll und ehrerbietig genannt wurde, hat während der über fünfzig Jahre auf den Bühnen der Welt etwas geschafft, was sonst nur ganz wenige Künstler zuwege brachten: Sie wurde nicht nur zur künstlerischen Nationalheldin Portugals - im Kultstatus wahrscheinlich nur noch hinter Pessoa und Camões -, sondern ihre Ausstrahlung und ihr Wirken brachten den Fado - eine nur in Portugal beheimatete städtische Kunstliedform meist melancholischen Charakters - hinaus in die Welt. Angesichts der wirtschaftlichen und sprachlichen Übermacht englischer und amerikanischer Popmusik eine unglaubliche Leistung. Die ganze portugiesische Nation sei Amália zu Dank verpflichtet, hieß es 1990, als die Künstlerin die höchste staatliche Auszeichnung Portugals, das Große Kreuz des Ordens von Santiago de Espada, überreicht bekam.

Amália wird heutzutage von Kritikern in einem Atemzug wie die Callas, Bessie Smith, Edith Piaf oder Ella Fitzgerald genannt. Ihr Einfluss auf die portugiesische und zunehmend auch auf die europäische Musikkultur ist kaum zu überschätzen. Wenn seit etwa zehn Jahren die Sängerin Misía mit ihrer Mischung aus portugiesischem Fado und französischem Chanson die europäischen Metropolen erobert, ist das ohne das, was Amália Rodrigues an Repertoire und künstlerischen Maßstäben geschaffen hat, undenkbar. Auch die Erfolge von Bevinda, einer Sängerin, die Fado-Wurzeln mit zarter Popmusik verbindet, und von Teresa Salgueiro, der Sängerin der bedeutendsten Band Portugals, Madredeus, wären ohne Amálias Wirken unmöglich. Amália beförderte das Entstehen und die Ausbreitung einer anspruchsvollen Fado-Hochkultur, die das portugiesische Musikleben und das, was die Portugiesen musikalisch leben und fühlen, prägt. Sängerinnen wie Beatriz de Conceição, Maria da Fé und Lenita Gentil oder auch die jüngeren Cristina Branco, Ana Moura, Mariza und Katia Guerreiro führen heute die klassische Fadista-Tradition fort.

Als ureigenste Musikschöpfung Portugals gehört der Fado weder zur authentischen Volksmusik noch zur Klassik. Er ist eine mündlich überlieferte, lebendig gebliebene hochkünstlerische Stadtmusik, die einzige, die Europa noch hat. Die Herkunft des Fado ist umstritten. Manche sagen, Fado stamme von Zigeunergesängen aus dem uralten Lissabonner Stadtviertel Alfama ab, andere meinen, Seeleute hätten diese Liedkunst vor zweihundert Jahren aus Brasilien eingeführt. Der Geist des Fado wird von allen gleich beschrieben - durch das sogenannte Saudades, das portugiesische Klagegefühl der uneingelösten Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit.

Amália Rodrigues beschreibt Fado so: „Wir Portugiesen hatten viel zu beklagen, denn wir waren hier, wo keiner hinkommt, wenn man nicht will. Unser Land grenzt an Spanien, sonst an nichts, nur das gefährliche Meer. Und so waren wir stets mit Schwertern und Kriegen und dem Meer beschäftigt, und wir gingen hinaus auf hohe See, also haben wir lange gelitten. Und dies ist eine Klage, und Fado ist ein Klagelied.“

Amália wurde irgendwann im Juli 1920 geboren. Sie sang - auch bei Wettbewerben - schon als Kind. 1939 holt sie José Soriano, Geschäftsführer des berühmten Lokals Retiro da Severa, in sein Haus. Innerhalb von wenigen Wochen avanciert sie zur lokalen Berühmtheit. Mit einem umjubelten Konzert 1943 in Madrid beginnt ihre internationale Karriere. Als sie dann 1956 im L´Olympia, dem berühmtesten Variététheater von Paris, auf der Bühne steht, ist ihr legendärer Ruf besiegelt. Seitdem gehört sie weltweit zu den Publikumslieblingen. Doch sie wird nicht nur in den romanischsprachigen Ländern gefeiert. Sogar das fernöstliche Japan findet Gefallen an ihrer Musik. Anscheinend berührt ihre Interpretationskunst so unmittelbar, dass Sprachbarrieren keine Hindernisse sind. Amália eröffnete dem Fado neue Horizonte. Ihre Auftritte, in denen sie immer ganz in schwarz gekleidet erschien, haben Geschichte gemacht. Ebenso verblüffte ihre hohe Verzierungskunst, die an maurische Einflüsse erinnert. Von ihrer Persönlichkeit ließen sich hochkarätige Komponisten und Dichter inspirieren, die ihr eine ganze Reihe von neuen Stücken schrieben.

Einsamkeit,
bevor die Sonne verschwindet wie ein verlorener Vogel.
Einsamkeit...
Werde ich dir auch Adieu sagen?
Das ganze geheime Leben ist wie ein Stern,
wie ein Stern in diesen Aschen,
bevor die Sonne verschwindet.
Einsamkeit.


Amália war wie eine Heilige vor allem für die Armen, für die sie sich regelmäßig mit Hilfsprojekten einsetzte. Obwohl sie während der Salazar-Diktatur offiziell als regierungsnah galt, spendete sie damals illegal immer wieder Geld für die kommunistische Partei. Amália Rodrigues starb am 6. Oktober 1999 im Alter von 79 Jahren.

Zehntausende nahmen von ihr in der Basilica de Estrela in Lissabon Abschied. Der damalige europäische TV-Sender EURONEWS übertrug über mehrere Stunden die Trauerfeier live. Der portugiesische Präsident ordnete drei Tage Staatstrauer an, der laufende Wahlkampf wurde eingestellt. Amália wurde auf dem Friedhof Lissabon-Prazeres beigesetzt. 2001 überführte man ihre sterblichen Überreste in das Lissaboner Pantheon Nacional in der Kirche Santa Engrácia, eine Ehre, die ihr als erster und bisher einziger Frau zuteil wurde.


Amálias Sarkophag in der Kirche Santa Engrácia, dem nationalen Pantheon Portugals. (Foto: M. B.)

In der Rua de São Bento in Lissabon befindet sich das ihr gewidmete Museum Museu Fundação Amália Rodrigues. Ihr Leben und ihre Musik sind Thema des Musicals Amália, das 2002 uraufgeführt wurde.