Donnerstag, 30. Juli 2009

Johnny Gonzalez begeisterte am 29. Juli 2009 im Dresdner Blue Note


Wie der Bolivianer Johnny Gonzalez am gestrigen 29. Juli 2009 im Dresdner Blue Note den Song „Autumn Leaves“ spielte, war sowohl künstlerisch beeindruckend als auch für die Piano-Kunst des südamerikanischen Jazz-Urgesteins aufschlussreich.

Der Song, 1945 von Joseph Kozma als Chanson „Les feuilles mortes“ nach einem Gedicht von Jacques Prévert komponiert, wurde erstmals 1946 von Yves Montand im Film „Pforten der Nacht“ vorgetragen. Johnny Mercer schrieb, inspiriert vom Schicksal einer in einem KZ ermordeten deutschen Jüdin, darauf einen englischen Text; der um die Welt gehende Jazzstandard „Autumn Leaves“ war geboren, ein für seine intensive Wehmütigkeit bekannter Song. Johnny Gonzalez interpretierte das Stück zwar traurig, aber kraftvoll, phasenweise energisch, in jeder Situation Sentimentalitäten vermeidend. Mit hartem Anschlag, Tempowechseln, motivischen Einschüben und Verschachtelungen sowie einem Spannung schaffenden Gegeneinander von melodischen Verzierungen und kargem thematischen Skizzieren gestaltete er eine Art Neugeburt dieser Komposition, die man lediglich wegen ihres tragischen Hintergrundes nicht unbedingt „Evergreen“ nennen sollte.

Noch weitere Blues- und Jazzklassiker wie „Summertime“ von George Gershwin, „Blue Monk“ von Thelonius Monk, „St. Louis Blues“ von W. C. Handy, vor allem aber noch „Caravan“ von Juan Tizol und Duke Ellington wurden vorgestern im Blue Note von Interpretationskonventionen befreit. Johnny Gonzalez nutzte die Harmoniefolgen der Stücke, um zunächst unbekannt scheinende Einleitungen zu skizzieren, die sich dann in rhythmisch und metrisch variable Durchführungen ergossen, wie Kaskaden von Melodie- und Akkordschwällen. Brillant, wie er zwischen Ragtime-, Tango- und Boogierhythmen changierte, wie er gleichzeitig Bass- und Melodieläufe in verschiedenen Tempi vortrug, wie er kurze melodische Signalsplitter in den harmonischen Ablauf einstreute – stets mit gnadenlos hartem Anschlag, präzise, manchmal sogar sperrig oder linkisch wirkend. Klischees bediente Gonzalez nicht, und auch die Verarbeitung lateinamerikanischer, sogar indianischer Melodien hatte nichts von El-Condor-Pasa-Gefühligkeit, dafür viel von prallem Leben, von wacher Raffinesse, von Eigenwilligkeit.

Kein Zweifel: Hier war ein Erzmusikant am Werk, der über Jahrzehnte Eigenes mit Einflüssen anderer Großer verwebt, der sowohl aus der Vielfalt lateinamerikanischer Musikkulturen als auch aus den Begegnungen mit bisherigen Spielpartnern wie Albert Mangelsdorff, Charly Byrd oder Elvin Jones schöpft. Johnny Gonzalez war ein Erlebnis.

(M. B.)